In Thüringen bricht ein unterirdischer Hohlraum zusammen und reißt ein 20 Meter tiefes Loch in die Straße

Schmalkalden. Es ist 3 Uhr, als sich in Nacht zu Montag in der Walter-Rathenau-Straße im thüringischen Schmalkalden die Erde auftut und ein Auto verschluckt. Anwohner werden von einem Geräusch geweckt, das sich anhört, als ob mehrere Lkw ihre Ladung abkippen. Die herbeigerufene freiwillige Feuerwehr blickt auf ein riesiges Erdloch, das 30 mal 30 Meter groß und 20 Meter tief ist. Wie durch ein Wunder wird niemand in der schmucken Einfamilienhaussiedlung der 20 400-Einwohner-Stadt verletzt. Sechs Häuser müssen jedoch evakuiert werden, 25 Betroffene kommen zunächst bei Verwandten und Freunden unter. Sie stehen zum Teil unter Schock oder müssen von einem Seelsorger in einem Zelt nahe der Unglücksstelle betreut werden.

Fassungslos stehen Rettungskräfte und Einwohner vor dem Krater, der weiter wächst. Stetig brechen die Ränder am Krater nach, immer neue Risse durchziehen Straße und umliegende Häuser. 12 000 Kubikmeter Erde sind verschwunden. "Wir wissen nicht, wann ein Ende abzusehen ist", sorgt sich Marco Kröger von der freiwilligen Feuerwehr. "So etwas hat hier keiner erwartet", sagt Roland Stark, dessen Garage direkt an dem Erdloch steht. Er ringt auch Stunden nach dem Unglück um Fassung. Seit 20 Jahren wohnt er in der Hangsiedlung in der Fachwerkstadt im Südwesten des Thüringer Waldes. Die Straße vor der Garage sei frisch geteert worden, sagt Stark. Noch wissen er und seine Frau nicht, wann sie wieder in ihr Heim zurückkehren können. "Wir haben gedacht, wir sind hier auf dem Hang sicher. Wir hoffen, dass sich alles zum Guten wendet."

Eine Frau wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Ein Beamter erklärt ihr behutsam, dass sie nicht nach Hause zurückkehren kann. Zu groß ist die Gefahr. Die Polizei sperrt nach und nach immer weiträumiger ab. Ein Hubschrauber kreist mit einer Wärmebildkamera über dem Krater. Matthias Heinemann blickt von seinem Garten auf das nahe Erdloch. "Ich bin von den Motorengeräuschen und den Blaulichtern wach geworden." Noch darf er in seinem Haus bleiben. Doch auch seine Sorgen sind groß: "Das ist pures Entsetzen, mit so einem Loch vor der Tür bekommt man schon Existenzängste."

"Den Leuten sitzt der Schreck in den Gliedern, aber sie sind erstaunlich gefasst", sagt Bürgermeister Thomas Kaminski. Die Stadt will nun Ferienwohnungen anmieten, für diejenigen, die ohne Unterkunft dastehen.

Auch Landes-Umweltminister Jürgen Reinholz zeigt sich über das Ausmaß des Unglücks erschrocken. "Das ist katastrophal und sieht böse aus. Das gab es in dieser Größenordnung noch nicht in Thüringen." Landrat Luther ist bei allem Schrecken aber auch erleichtert darüber, dass es keine Verletzten oder gar Tote gab: "Da war viel Glück im Unglück dabei."

Mittlerweile steht fest, dass der Krater eine natürliche Ursache hat. Bergmännische Tätigkeiten kämen nicht infrage, sagte Hartmut Kießling vom Thüringer Bergamt. Laut Jan Katzschmann vom Geologischen Landesdienst ist offensichtlich ein großer Hohlraum in sich zusammengebrochen. Umweltminister Reinholz sprach von "Auswaschungen im Untergrund".

Immer wieder halten plötzlich aufbrechende Krater in Teilen Thüringens die Menschen in Atem. Nicht immer sind sie erklärbar. So stürzte im März dieses Jahres in Nordhausen ein Kleinlaster in ein sechs Meter tiefes Loch, das sich urplötzlich in der Straße unter dem Lkw aufgetan hatte.

Und im Januar 2010 riss zum wiederholten Male im 30 Kilometer entfernten Tiefenort ein Erdkrater auf. Fünf Häuser wurden unbewohnbar, 13 Menschen verloren ihr Heim. Bereits im Februar 2002 war dort das Gelände zwischen zwei Wohnhäusern großflächig abgesackt. Durch das Auswaschen salzhaltiger Schichten hatten sich im Untergrund der Bergbauregion Hohlräume gebildet.