Die Medien der Welt haben sich in der Wüste versammelt und feiern eine bizarre Party

San José. Wie eine aufrechte Mondrakete ragt der grell erleuchtete riesige Bohrturm in den sternenklaren Himmel über der Atacama-Wüste. 700 Meter weiter unten warten die 33 verschütteten Kumpel in der Mine San José darauf, endlich aus ihrem feucht-heißen Gefängnis befreit zu werden. Als am Sonnabend kurz nach Sonnenaufgang die Sirenen der Bohrarbeiter zu heulen beginnen und damit den Durchbruch des Bohrers zu den Eingeschlossenen verkünden, entlädt sich die Spannung der Angehörigen in Jubel und Freude. "Chi, Chi, Chi, Le, Le, Le", schreien sie den chilenischen Schlachtruf von Sportveranstaltungen in die klare Morgenluft. Am Mittwoch nun sollen die Kumpel aus der Tiefe geholt werden. Zunächst muss noch der Rettungsschacht stabilisiert werden.

In der Nacht vor dem Durchbruch haben sich die Angehörigen wie schon so oft zuvor an Kohlefeuern gewärmt und heißen Tee getrunken. Journalistenfragen beantworten sie mit derselben stoischen Gelassenheit, mit der sie hier mitten in der Wüste seit dem 5. August aushalten. Manchen wird das öffentliche Interesse jedoch schon zu viel.

"Halt mir bloß diese Journalisten vom Leib", winkt eine Frau ab. "Nein, meinen Namen sage ich jetzt auch nicht mehr", beendet sie den Interviewversuch resolut. Das Lager Esperanza - auf Deutsch Hoffnung - ist eine wild wuchernde Mischung aus Woodstock und Camperidylle. Aus bis zu zehn Meter langen Wohnmobilen dringt Rockmusik in die Nacht, der ganze Wagen schaukelt, während spanische Journalisten offenbar eine rauschende Fete feiern. Dutzende kleine Stromgeneratoren brummen unentwegt. Benzindunst mischt sich mit Nebelschwaden, die über die felsigen Hügel herabkriechen. Es ist bitterkalt. Chemieklos für umgerechnet zehn Euro Miete am Tag tragen eine ganz eigene Duftnote bei. Im Casino, einem Zelt, sitzen Angehörige, Journalisten und Polizisten an wackeligen Tischen. Sie starren auf den Fernseher, der wieder und wieder die Stationen des längsten je aufgezeichneten Grubendramas wiederholt.

Der Flachbildschirm ist Teil eines Altars mit 17 Heiligenfiguren aus Gips und vielen Bildchen mit biblischen Motiven, signierten Bergarbeiterhelmen, Briefen mit ermutigenden Zeilen. Die mehr als ein Meter hohe Figur des Heiligen San Lorenzo, des Schutzheiligen der Bergarbeiter, trägt einen roten Plastikhelm auf dem Kopf und hält eine Grubenlampe in der rechten und ein Kruzifix in der linken Hand.

Der Zugang zu den Bohrarbeiten selbst ist den meisten Bewohnern des Lagers verboten. Eine rot-weiße Schranke mit einem Schild "Weiterfahrt verboten" markiert die Grenze. Aber bis unmittelbar an den "Sperrbezirk" drängen sich dicht an dicht Wohnwagen und Zelte. Die Fernsehsender haben sich bis zu zehn Meter hohe Beobachtungsplattformen gezimmert, auf denen selbst nach Mitternacht dick vermummte Kameraleute an ihren Stativen schrauben und den Nebel filmen.

Bei der wohl aufwendigsten Rettungsaktion in der Geschichte des Bergbaus haben auch religiöse Gruppen Konjunktur. Auf Plakaten wird zum "Beten für die Kumpel" aufgerufen, Felsen sind mit dem Spruch "Fuerza Mineros" (Habt Kraft, Bergleute) bepinselt.

Die Angehörigen halten sich eher etwas abseits von dem Trubel. Viktor hat zum Beispiel von seinem Angehörigen in der Tiefe schon ein paar Erinnerungsstücke bekommen. "Kleidung, Zeitschriften, Briefe, alles Mögliche hat er sozusagen schon mal vorausgeschickt, bevor er selbst bald wieder bei uns ist", sagt er. "Wenn alle glücklich gerettet sind, wollen wir hier bei der Mine eine Riesengrillparty feiern", fügt ein anderer Angehöriger hinzu. Keine Formulierung scheint dramatisch genug, um bei dieser Geschichte von Schmerz, Tränen und Hoffnung nicht verwendet zu werden: "Jetzt ist der Augenblick nahe, an dem die Erde die 33 Helden gebären wird", sagt ein chilenischer Fernsehreporter. Keiner lacht.