Kein persönliches Wort im Winnenden-Prozess. Durch seine Waffe starben 16 Menschen

Stuttgart. Das Verfahren ist eine Premiere: Noch nie hat es in Deutschland einen Strafprozess gegeben, bei dem ein nicht direkt an der Tat Beteiligter nach einem Amoklauf vor Gericht stand. Jörg K., 51, der Vater des Amokschützen von Winnenden (Baden-Württemberg), muss sich seit gestern wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Bei einer Verurteilung droht ihm bis zu einem Jahr Haft. Allerdings erwägt das Gericht eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in 14 Fällen. Dann müsste er bis zu fünf Jahre hinter Gitter.

Sein Sohn Tim hatte am 11. März 2009 in der Albertville-Realschule in Winnenden und bei der anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen getötet, 13 verletzt und sich danach erschossen. Die großkalibrige Beretta-Pistole und die Munition entwendete er aus dem Kleiderschrank im Schlafzimmer seiner Eltern. Diesen hatte Jörg K., ein versierter Sportschütze, nicht wie gesetzlich vorschrieben verschlossen, und das obwohl sein Sohn unter Depressionen litt und wegen Gewaltphantasien in psychiatrischer Behandlung war. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, bewusst gegen Aufbewahrungsvorschriften verstoßen zu haben. "Insbesondere verkannte er die Gefahr, sein minderjähriger Sohn Tim könnte das Waffenversteck auskundschaften, die Waffen an sich bringen und damit sich und anderen Schaden zufügen", sagte gestern Staatsanwältin Eva Hanss.

Die 27 Angehörigen der Opfer, die mit versteinerter Miene im Gerichtssaal saßen, warteten jedoch vergeblich auf ein Wort des Angeklagten. Wie sehr von ihnen eine persönliche Geste erwartet wurde, hatte eine Mutter einer getöteten Referendarin vor Verhandlungsbeginn verdeutlicht. "Ich möchte erfahren, wer er ist, denn auch er ist ein Vater. Ich hoffe, dass er sich mir als Mensch zeigt", sagt Gisela Mayer, die als Nebenklägerin ihre getötete damals 24-jährige Tochter vertritt.

Doch ihre Hoffnungen, von Tims Vater ein paar persönliche Worte zu hören, wurden am ersten Verhandlungstag enttäuscht. Der schwäbische Unternehmer lehnte Angaben zur Person und zur Sache ab. Zudem stellte der Verteidiger den Geschäftsmann nicht als Mitverantwortlichen, sondern als Leidtragenden der Tat dar: "Die schweren Folgen der Tat wiegen so schwer, dass der Staat ihn nicht bestrafen sollte", sagte Anwalt Hubert Gorka. Der Angeklagte sei sozial isoliert, infarktgefährdet, erhalte Drohungen und denke über Selbstmord nach.

Die Erklärung löste heftige Reaktionen aus. "Das ist feige", riefen Zuhörer. "Seinen Schmerz in den Vordergrund zu rücken, fand ich nicht richtig", sagte Andrea Stoppel, die Mutter einer getöteten Schülerin. "Ich hätte mir ein paar persönliche Worte direkt an die Hinterbliebenen gewünscht."

Bis zum Urteil am 11. Januar 2011 sind noch 26 Verhandlungstage angesetzt. Der Prozess wird am 21. September fortgesetzt.