Dritter Verhandlungstag im Kachelmann-Prozess. Tonband-Aufnahmen sind das bisher eindrucksvollste Beweismittel

Mannheim. Es hat etwas Gespenstisches, wenn in Strafverfahren Originalaufnahmen von der Tat abgespielt werden oder von der unmittelbaren Zeit danach. Amerikanische Katastrophen-Dokus beginnen oft damit, sie spielen knisternd die hysterischen Hilferufe eines Opfers beim Notruf der Polizei ein, und häufig verleihen diese Tonband-Zeugnisse einem mutmaßlichen Verbrechen mehr als alles andere die schaurige Aura von Realität. So kam gestern am dritten Kachelmann-Prozesstag in Mannheim urplötzlich Spannung auf, als der erste Zeuge der Beweisaufnahme, ein Kripobeamter, in einer bis dahin recht eintönigen Vernehmung plötzlich eine CD aus der Jackentasche zog.

Die Diskette wurde per Computer auf das Lautsprechersystem eingespielt, und da war sie, die Stimme des mutmaßlichen Opfers Claudia D., aufgenommen am 9. Februar, elf Minuten nach acht Uhr. "Ich bin heute Nacht vergewaltigt worden, und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll", sagt eine Frau. Auf die Nachfrage des Beamten, wer sie vergewaltigt habe, zögert sie. "Mein Freund", weicht sie aus. Einen Namen nennt sie jedoch nicht. Aber als der Notruf-Diensthabende wissen will, wie es ihr jetzt geht, antwortet sie: "Es geht, okay."

Bis zwei Stunden später ein Mitarbeiter der Spurensicherung Fotos vom Bett der Nebenklägerin vorlegen wird, vom Messer, das direkt daneben lag, und von mutmaßlichen Sperma- oder Blutflecken auf der Tagesdecke, ist das Tonband das bisher unmittelbarste, eindrucksvollste Beweisstück im Kachelmann-Prozess.

Aber einen Aufschluss darüber, ob sich da tatsächlich eine brutal vergewaltigte Frau an die Polizei gewandt hat, gibt es nicht. Claudia D., die 37 Jahre alte Radiomitarbeiterin und langjährige Geliebte von Kachelmann, weint oder schluchzt auf jeden Fall nicht, sie wirkt im Gegenteil recht geordnet. Bevor sie zum Vorwurf der Vergewaltigung kommt, nennt sie sogar ihren Namen und gibt ihre ganze Adresse durch.

Die Nummer gewählt hat übrigens ihr Vater, ein pensionierter Lehrer aus dem badischen Spargelstädtchen Schwetzingen, der nur einen Steinwurf entfernt von seiner Tochter wohnt. Er gibt den Hörer dann umgehend weiter.

Jörg Kachelmann, erfahren das Gericht und die Zuschauer danach in der Vernehmung des Schwetzinger Kriminalhauptkommissars Hubert Dietrich, soll bei seiner Festnahme im Frankfurter Flughafen "keine emotionale Reaktion" gezeigt haben, keine Überraschung, keine Wut, keinen Ärger, keinen Unglauben. Ganz anders die Psychologiestudentin, 24, die Kachelmann am Flughafen abgeholt hatte: Ihr habe das Entsetzen im Gesicht gestanden. Sie ist an diesem Tag ebenfalls als Zeugin geladen, aber ihre Vernehmung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Sie hatte den Moderator bei seiner Rückkehr aus Kanada zum Auto begleitet, dabei wurden "innige Zärtlichkeiten ausgetauscht", erinnert sich Kommissar Dietrich.

Dann wird es streckenweise richtig unangenehm. Etwa, als alle Gutachter, Richter, Anwälte und der Angeklagte im Kreis gemeinsam die Fotos der Spurensicherer betrachten, die "Prostatasekretspuren" von Jörg Kachelmann auf dem Sofa von Claudia D. zeigen sollen. Oder der Tampon, der im Mülleimer sichergestellt wurde.

An einigen Punkten, so scheint es, rütteln die Aussagen der an diesem Tag vernommenen drei Polizisten an der Glaubwürdigkeit von Kachelmanns Aussage vor dem Amtsgericht, die am Montag verlesen worden war. So hatte der Schweizer betont, mit Claudia D. nur eine sporadische Beziehung gehabt zu haben, neudeutsch würde man sagen, ein "Hop on, hop off"-Verhältnis. Zehn- bis zwölfmal im Jahr habe man sich gesehen, da sei nichts Engeres gewesen. Doch Kripo-Hauptkommissar Dietrich hat alle Telefon-, Mail- und Chatkontakte auswerten lassen und herausgefunden: Es bestand täglich Kontakt, oft gingen mehrfach SMS oder Chatnachrichten hin und her. Allein zwischen dem 1. Januar und 8. Februar 2010 wurden 270 Nachrichten getauscht. "Dann brach der Verkehr ab. Schlagartig, abrupt und komplett", so Dietrich.

Der gestrige Verhandlungstag war auch wie die vorhergehenden am Morgen holprig angelaufen. Zwar war das Gericht etwas pünktlicher eingetroffen als am zweiten Prozesstag, doch dann dauerte es nicht mal zehn Minuten, bis schon wieder Pause war. Denn die Verteidiger von Kachelmann brachten Anträge ein, die von der Staatsanwaltschaft sofort massiv gekontert wurden und eine Beratung des Gerichts nötig machten. Die Anwälte verlangten, dass drei von ihnen bestellte Gutachter zur Hauptverhandlung zugelassen werden. Dann dürften diese gegebenenfalls den Zeugen Fragen stellen. Am kommenden Mittwoch geht der Prozess weiter.