Wer ermordete den Abhör-Spezialisten des britischen Geheimdienstes? Die Polizei kennt noch nicht einmal die Todesursache

London. Die Alderney Street befindet sich in einer Gegend Londons, die man gern "Alpha Territorium" nennt. Beste Lage, Stadtteil Victoria, feinste Architektur im Stil des frühen 19. Jahrhunderts, Millionenobjekte. Alderney Street mündet in die Lupus Street, Straße des Wolfs, und von dort ist es nur ein Fußweg zur Zentrale der Auslandsabwehr MI 6, das britische Pullach, am Südufer der Themse. Pimlico, Lupus, Geheimdienst - Stoff für einen Krimi.

Es geht um den Tod eines Geheimagenten. Am 23. August betritt ein Sicherheitsbeamter die Wohnung Nr. 4, 36 Alderney Street. Im geräumigen Badezimmer macht der Polizist eine grausige Entdeckung: In einer mit Reißverschluss zugezogenen und zusätzlich mit Vorhängeschloss gesicherten großen Sporttasche in der Badewanne liegt die zusammengekrümmte nackte Leiche eines Mannes in jüngeren Jahren.

Der Tote ist Gareth Williams von der Insel Anglesey in Northwales, 31 Jahre alt, ein Angestellter der britischen Dechiffrier- und Abhörzentrale in Cheltenham, Gloucestershire, des geheimen Government Communications Headquarters (GCHQ). Für ein Jahr war Williams zum MI 6 nach London abgestellt worden, Ende September hätte er ins GCHQ zurückkehren sollen. Als er am Montag, 23. August, nicht wie vorgesehen nach einem "geplanten Urlaub in den USA" zur Arbeit zurückgekehrt war, schaltete der MI 6 die Polizei ein. Diese verwendet in ihren Verlautbarungen noch nicht einmal das Wort "Mord", sie spricht lediglich von einem unerklärlichen Tod. Nichts war in der Wohnung des Gareth Williams entwendet oder nachprüfbar angerührt worden, auf dem Wohnzimmertisch fanden sich säuberlich aufgereiht SIM-Karten und mehrere Mobiltelefone, nicht weit davon sein Laptop.

Zwei Obduktionen haben keine schlüssigen Beweise über die Todesart ergeben. Die Untersuchungen gestalten sich schwierig; die Leiche befand sich im fortschreitenden Stadium der Verwesung. Dennoch lassen sich schon jetzt einige Todesursachen ausschließen: kein Alkohol- oder Drogeneinfluss, keine Würgemerkmale oder andere körperliche Gewalt. Damit konzentriert sich alles auf weitere toxikologische Tests, die Suche nach Spuren von einem Gift, das sich möglicherweise spurlos hätte verabreichen lassen. So war es im Dezember 2006 bei der Ermordung des Ex-KGB-Mannes Alexander Litwinenko in London, den eine Dosis des Strahlengiftes Polonium 210 ins Jenseits brachte.

Solche Annahme aber würde auch diesmal auf geheimdienstliche Hintergründe zielen - der klassische Agentenmord eben. Doch gibt es dafür bisher keine Hinweise, wenn man der Polizei glauben darf. Was vielen Beobachtern schwerfällt - schließlich gehören Vertuschen, Auf-falsche-Fährten-Locken zum Geheimdienstgeschäft.

Stärker im Vordergrund hat bisher die Vermutung von eventuellen privaten Verwicklungen des 31-Jährigen gestanden. So soll Williams homosexuelle Beziehungen unterhalten haben und möglicherweise bei einem danebengegangenen Sex-Spiel zu Tode gekommen sein. Liebte er die Verkleidung als Transvestit? Die Eltern und seine Schwester Ceri weisen solche Spekulationen entrüstet zurück. Einzelgänger - ja, aber in seiner Lebensweise eher asexuell, ohne ersichtliches Interesse an Männern oder Frauen. Dafür verliebt in den Radsport und sein Rennrad, auf dem er oft in Gesellschaft seines Vaters das heimische Anglesey durchquerte.

Gareth Williams war ein mathematisches Genie, graduierte mit 17 Jahren und wurde vom GCHQ angeworben, als er in Cambridge seine Promotion in Mathematik vorbereitete. Im Einsatz auch für die National Security Agency (NSA) in Maryland, dem amerikanischen GCHQ-Pendant, bereiste er mehrfach Asien, Afghanistan, Osteuropa. Sein Spezialgebiet war die Entwicklung "smarter" Apparate zum Abhören von Bluetooth- und anderen Mobilgeräten. In Afghanistan hängt von dieser Technologie ein großer Teil des Erfolges im Kampf gegen die Taliban ab. Inzwischen hat die Polizei die Flucht nach vorn angetreten und die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Aufklärung gebeten - nicht ganz ohne Ironie beim Tod eines Geheimagenten. Wer hat Gareth Williams seit dem 14. und 15. August gesehen, als Kameras ihn nach der Rückkehr aus den USA beim Shopping in Londons West End aufnahmen? Wer ist das Paar "von mediterranem Aussehen", das ebenfalls zu sehen ist und Ende Juni oder Juli durch die Tür der Alderney Street Nr. 36 trat?

So könnte der perfekte Mord aussehen - ein Fall, der nur Fragen aufwirft, auf die es keine Antworten gibt. Miss Marple, übernehmen Sie. Oder doch lieber John le Carré?