“Grenze zwischen Spiel und Straftat war für die Jugendlichen nicht erkennbar“

Osnabrück. Die Ermittlungen im Fall Ameland sind kompliziert. "Bisher gibt es 13 potenziell Beschuldigte, drei Geständige und sechs Opfer, die wohl zum Teil auch Täter gewesen sind", teilte Alexander Retemeyer von der Staatsanwaltschaft am Freitag in Osnabrück mit. Offensichtlich hatten sich die Jugendlichen vor der Tat noch im Internet über anale Sexpraktiken informiert. "Dennoch", so der Polizeisprecher Georg Linke, "hatten sie wohl kein Gespür, was sie bei ihren Opfern auslösten. Die Grenze zwischen Spiel und Straftat war für sie nicht erkennbar."

Bis zum Ferienende sollen die Vernehmungen der Kinder und Jugendlichen abgeschlossen sein, danach würden die Betreuer verhört. Videos seien bisher nicht aufgetaucht, die Polizei beobachte das Internet.

Nach einer Studie der Tübinger Universität lassen sich jugendliche Sexualstraftäter in drei Gruppen unterteilen. Die größte Gruppe - zu der wohl auch die Täter von Ameland gezählt werden können - besteht aus kontaktgestörten und emotional retardierten Persönlichkeiten: "Diese Jungen haben häufig Schwierigkeiten bei der Mann-Werdung. Wenn sie zum Beispiel bei Mädchen abblitzen, greifen sie auf vermeintlich ungefährliche sexuelle Kontakte mit Kindern zurück", sagt Prof. Michael Günter von der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die zweite, kleinere Gruppe sei von einer hoch aggressiven Gewaltbereitschaft getrieben, wobei die Sexualstraftat nicht im Vordergrund stehe.

Die dritte und kleinste Gruppe zeige dagegen bereits fixierte Perversionen und Fantasien bei gleichzeitig eingeschränkter Impulskontrolle. Die konsequente Behandlung dieser komplexen Problematik gilt als besondere Herausforderung. Doch in allen Fällen bemängelt der Psychiater einen eklatanten Mangel an qualifizierten Therapieangeboten. "Dabei ist der steinige Weg einer Therapie bei jugendlichen Sexualstraftätern gar nicht einmal so aussichtslos, wie es gerne behauptet wird." Die Rückfallquote betrage 20 Prozent.