Heute sagt der Drahtzieher der sechsfachen Morde von Duisburg vor Gericht aus

Rom/Locri/Duisburg. Was sich derzeit in dem Küstenstädtchen Locri im Südosten Kalabriens abspielt, könnte auch Teil eines spannenden Justiz-Thrillers sein. Vor dem Geschworenengericht des Seebads muss sich der mutmaßliche Drahtzieher des Blutbads von Duisburg, Giovanni Strangio, 31, verantworten. Heute soll er zum ersten Mal zum schlimmsten Mafia-Massaker auf deutschem Boden aussagen. Strangio gilt laut Anklage als Anführer des Killerkommandos, das im August 2007 in der Revierstadt vor der Pizzeria "Da Bruno" sechs Italiener mit insgesamt 56 Schüssen regelrecht hinrichtete. Die drei Täter benutzten Waffen des Typs Beretta 93 R, Kaliber neun Millimeter.

Es war der mörderische Höhepunkt einer Familienfehde zwischen den 'Ndrangheta-Clans Pelle-Vottari und Nirta-Strangio. Beide Mafia-Familien kommen aus dem kleinen 4400-Einwohner-Ort San Luca, der Hochburg der kalabrischen Mafia. Beide kämpfen um die Vorherrschaft im Waffen- und Drogenhandel - Erpressung, Geiselnahme und Mord gehören zum Alltag. Die Pelle-Vottaris hatten Weihnachten 2006 Strangios Cousine Maria erschossen. Die Rache dafür, so sind sich deutsche Ermittler sicher, war das Blutbad von Duisburg. Gerade die enge Zusammenarbeit italienischer und deutscher Fahnder, die mittlerweile 100 000 Aktenseiten füllt, führte schließlich zum Durchbruch. Zunächst wurden Strangio und Giuseppe Nirta, 36, in Amsterdam gefasst. Im Februar dieses Jahres kam auch der dritte mutmaßliche Todesschütze, Sebastiano Nirta, 38, hinter Gitter.

Die italienische Justiz nutzt das Verfahren gleich zu einer Gesamtabrechnung mit den Mafia-Clans, hat aus dem Fall ein Massenverfahren gemacht. So stehen insgesamt 14 mutmaßliche Mafiosi aus San Luca vor Gericht. Kam der Prozess, der bereits im April begann, bisher eher schleppend voran, kann die Anklage jetzt mit neuen Indizien aufwarten. Eine frische DNA-Analyse durch den Feldwebel der Carabinieri in Messina, Biologiefachmann Giancarlo Maugeri, bestätigt: Der genetische Fingerabdruck des Hauptangeklagten ist identisch mit einigen Spuren in einem Renault Clio, den die Täter von Duisburg der Anklage zufolge benutzt hatten. Auch Schießpulver spürten die Fahnder auf, als sie das in Belgien gefundene Auto inspizierten.

Ein deutscher Ballistik-Experte berichtete vor den Geschworenen in Locri, diese Spuren seien "kompatibel" mit dem, was man am Tatort in einer Patronenhülse gefunden habe. Zudem will eine Duisburgerin Strangio vier Tage vor der Tat gesehen haben. Doch "peccato", wie der Italiener sagt: schade, dass während des sechsfachen Mordes keine Überwachungskamera an diesem kleinen Platz direkt auf das Geschehen gerichtet war, wie ein Polizeiinspektor aus Duisburg vor Gericht erklären musste. Festgehalten hatten die Kameraaugen in der Nähe des Lokals nur einen etwa 1,75 Meter großen Mann mit Hut, dem etwas aus der Jacke hervorlugte. Doch das war Stunden vor dem Blutbad. Und Strangio dürfte das kaum näher erläutern wollen, wenn er heute befragt wird.

Unterdessen können die italienischen Mafia-Jäger einen weiteren Erfolg verbuchen. Bei einer Razzia haben sie ein Netzwerk der Camorra aufgedeckt, das in illegale Machenschaften rund um den Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Stadt L'Aquila verstrickt sein soll. Gestern wurden sechs Verdächtige festgenommen und Besitztümer im Wert von 100 Millionen Euro beschlagnahmt, darunter 21 Firmen und 118 Gebäude.

Die Verdächtigen sollen Gelder an eigens in L'Aquila gegründete Unternehmen transferiert haben, damit diese an lukrative Aufträge für den Wiederaufbau kommen. Bei dem Erdbeben der Stärke 6,3 kamen am 6. April vergangenen Jahres 308 Menschen ums Leben. 120 000 Menschen verloren ihr Dach über dem Kopf. Die historische Altstadt wurde fast vollständig zerstört. Viele der Betroffenen leben noch immer in provisorischen Unterkünften und warten auf den Wiederaufbau.