Der Russe Michail Pletnew soll in Thailand einen 14-Jährigen vergewaltigt haben

Bangkok/Moskau. Er ist einer der bekanntesten Pianisten und Dirigenten Europas. Michail Wasilliewitsch Pletnew, 53, aus Russland tritt in der Musikwelt eher scheu und zurückhaltend auf, ist kein Mann der großen Gesten, vielmehr gilt er als ein intellektueller Virtuose der alten Schule. Kritiker loben seine außergewöhnlichen interpretatorischen Fähigkeiten - ob am Klavier oder am Dirigentenpult.

Und jetzt dieser schwere Vorwurf: Er soll in Thailand einen 14-jährigen Jungen vergewaltigt haben. Das bestätigte gestern die Polizei in Pattaya. "Der Junge will gegen ihn aussagen, deshalb kommt der Fall vor Gericht", sagte Polizeileutnant Omsing Sukgankha. Den Ermittlern liege außerdem eine Reihe kompromittierender Fotos vor, die Pletnew mit verschiedenen Jungen zeigten. Der Musiker habe schon seit Längerem unter Verdacht gestanden: "Wir sammeln seit geraumer Zeit Beweise gegen ihn." Pletnew hat alle Schuld von sich gewiesen: "Diese ganze Sache ist ein Missverständnis."

Bei einem Schuldspruch drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Der Mitbegründer des Russischen Nationalorchesters (RNO) wurde gegen eine Kaution in Höhe von 300 000 Baht (rund 7400 Euro) auf freien Fuß gesetzt. Er dürfe Thailand aber nicht verlassen, sagte ein Gerichtssprecher. "Er durfte seinen Pass zwar behalten, doch steht sein Name auf einer Liste mit den Namen von Leuten, die nicht ausreisen dürfen." Der Dirigent muss sich nun alle zwölf Tage bei Gericht melden und darf nicht in Kontakt zu Zeugen treten. Nach Darstellung eines russischen Diplomaten in Moskauer Medien wurde dem Musiker allerdings erlaubt, das Land bis zum 18. Juli zu verlassen, damit er mit dem RNO auf Tournee gehen kann. Das "Orchestra della Svizzera Italiana" (OSI) setzte unterdessen die Zusammenarbeit mit ihm aus, meldeten gestern Schweizer Medien. Die Maßnahme gelte, bis die thailändische Justiz die Anschuldigungen gegen den Musiker geklärt habe, sagte Pietro Antonini, der Präsident des OSI-Stiftungsrates. Die nächsten Konzerte waren für November in Locarno geplant. In Deutschland sollte er unter anderem in Essen, München und Köln gastieren.

Den Tipp, der zu Pletnews Verhaftung führte, hatte die Polizei von einem Mann erhalten, dem Beteiligung an einem Kinderprostituierten-Ring vorgeworfen wird. Thailand, das lange Zeit bekannt war für Sextourismus und als Anziehungspunkt Pädophiler, hatte in jüngster Zeit wiederholt angekündigt, gegen solche Auswüchse vorzugehen.

Pletnew war nach Angaben der Polizei oft in dem Badeort Pattaya rund 100 Kilometer südöstlich von Bangkok. Er besitze dort mehrere Häuser und habe eine Musikschule eingerichtet. Der Ort ist als Sündenpfuhl verschrien. Dort gibt es jede Menge Bars, ein reges Nachtleben, Hunderte Prostituierte und einschlägige Besucher.

Pletnew, der am 14. April 1957 im nordrussischen Archangelsk am Weißen Meer geboren wurde, ist einer der Kulturberater von Kremlchef Dmitri Medwedew. Seine Ausbildung begann am Konservatorium in Kasan, der Hauptstadt der Teilrepublik Tatarstan. Dorthin war er als Kind mit seinen Eltern gezogen, beide ebenfalls Musiker. Bereits im Alter von 16 Jahren erhielt Pletnew in Paris einen Preis für seine Klavierkünste, 1978, mit 21 Jahren, gewann er den renommierten Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau; mit dieser Auszeichnung begann seine internationale Karriere.

Im Jahr 1980 debütierte er als Dirigent. 1990 gründete Pletnew das RNO, mit dem er seitdem weltweit auftrat, unter anderem 1996 beim Eröffnungskonzert der Olympischen Spiele in Atlanta. Das Orchester war dank privater Sponsoren das erste vom Staat unabhängige Ensemble seit 1917. Pletnew ist zudem Komponist, hat unter anderem eine "Fantasie über kasachstanische Themen" und virtuose Klavier-Bearbeitungen von Tschaikowsky-Klassikern geschrieben, darunter eine "Nussknacker"- und eine "Dornröschen"-Suite, sowie eine Transkription des Beethoven-Violinkonzerts für Klarinette.

Gleich zweimal, 1995 und 2002, wurde Pletnew mit dem russischen Staatspreis für seine Verdienste ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Europäischen Dirigentenpreis und den Grammy für die beste Kammermusik-Aufführung mit der argentinischen Pianistin Martha Argerich. In den vergangenen Jahren rückte der Musiker seine Konzerte als Dirigent immer mehr in den Vordergrund.