Elegant wie immer. Die Hamburgerin zeigt in Mailand Mode für Männer

Mailand. Ein weißer Schatten hinter weißen Säulen, eine, zwei Sekunden vielleicht, dann war Jil Sander wieder verschwunden. Das große Posen liegt der Designerin auch bei ihrer Rückkehr auf die große Modebühne nicht. Dabei hätte sie allen Grund gehabt, sich feiern zu lassen, der donnernde Applaus nach ihrer ersten Schau in Mailand seit acht Jahren hätte einen größeren Auftritt gerechtfertigt.

Doch Jil Sander ist im besten Sinn die Alte geblieben: in ihrer persönlichen Zurückhaltung ebenso wie in ihrer Designsprache. Seit im Februar verkündet worden war, dass die 68-Jährige noch einmal als Kreativchefin zu dem von ihr gegründeten Label zurückkehren würde, waren die Erwartungen groß. Würde sie an ihre eigene Legende anknüpfen können? Im Rahmen der Männer-Schauen in Mailand, wo derzeit die Mode für Frühjahr/Sommer 2013 gezeigt wird, bot sich am Sonnabend eine erste Erkenntnis beim "Warm-up" für den Belastungstest im September, wenn die Frauen-Kollektionen gezeigt werden.

Déjà-vu im großen Saal in der Via Beltrami. Die puristisch weiße Unternehmenszentrale hatte Frau Sander mitentworfen, als sie noch Chefin des Hauses war. Die weißen Sitzblöcke stehen wie früher auch in akkuraten Reihen, dazwischen und darum das Laufsteg-Rechteck wie mit dem Lineal gezogen. In einer Ecke der Freitreppe, die von der Fensterfront hinunterführt in die "Arena", drängen sich die Fotografen, der Rest muss frei bleiben, das Licht soll nicht verstellt werden. Klarheit ist wichtig. Die Models kommen zwischen hohen weißen Säulen hervorDas ganze Setting folgt einer konsequenten Symmetrie und Ästhetik. Den Vorboten im Jil-Sander-Kosmos. Es ist sehr heiß schon am Morgen in Mailand, im Saal ist es angenehm kühl, die Spannung ist greifbar. Dann wummert Electrosound, das erste Model kommt forschen Schrittes in kantigen Lederschuhen und mit der Antwort auf alle Spekulationen. Einem klaren: Ja. Jil Sander ist zurück. Oder wie sie später gelöst sagen wird: "Ich bin wieder zu Hause."

Nur gut zehn Minuten dauerte die Schau, doch die Botschaft war deutlich: Die typischen schmalen, knöchelkurzen Hosen, dazu messerscharf geschnittene Blazermantel, Gehröcke, "Gehwesten" und Zweireiher, grafisch bedruckte Pullis, irisierende Punkte-Prints, aber eben auch: das Blau. Ihr Blau. Eine Kollektion, die sehr frisch und selbstverständlich wirkt. Die Klarheit des Nordens, die die Hamburgerin nie verleugnen will, auch wenn das Unternehmen längst in japanischer Investorenhand ist und von Italien aus geführt wird, dazu die selbstverständliche Eleganz, vermitteln eine geradezu beruhigende Unaufgeregtheit und Seriosität. Als wäre sie nie weggewesen, knüpft Jil Sander an ihre eigene Tradition an, ohne dabei in Sentimentalität zu verharren. "Es ging mir immer darum, Mode zu entwerfen, die Wertigkeit und Klasse hat und dabei funktional ist. Wir sind heute ständig in der Welt unterwegs und brauchen mehr denn je Kleidung, die diesen Anforderungen gerecht wird", erklärte sie nach der Schau, als Gratulanten und Journalisten nach oben geführt wurden, in den hellen Raum mit Blick auf das Castello. Mit einem Fingerzeig auf den zwecks Renovierung eingerüsteten Turm, sagte die Designerin, deren leises Auftreten nicht über das gesunde Selbstbewusstsein hinwegtäuscht: "So war es, als ich wiederkam. Ich denke, wir sind jetzt schon ein wenig weiter als der Turm."

Sie hat sich nicht verändert. Optisch schon gar nicht. Zur schneeweißen Kaftanbluse trägt sie eine blaue Nadelstreifenhose und schwarze Schnürschuhe. So klein und zart sie ist, so stark ist ihre Aura. Doch die Hose ist ein kleiner Wink. Sie stammt aus der "J+ Kollektion", jenem Designabenteuer, auf das sie sich von 2009 bis 2011 eingelassen hatte, als sie als Erste der internationalen Stardesigner eine langfristige Zusammenarbeit mit einer Massenmarkt-Modekette einging, der japanischen Uniqlo. Die Arbeit in Tokio hat ihren Blick weiter geschärft. Galt es doch, Design bezahlbar zu machen. "In einer 40-Millionen-Stadt sammelt man zudem ganz andere Erkenntnisse." So ist sie nun gut gerüstet für die Herausforderung, die Zukunft des Labels, das ihren Namen trägt, zu sichern. Preiswert wird die Marke gleichwohl nicht werden, darum geht es nicht.

Warum sie sich das noch einmal "antut", fragen manchmal ihre Freunde. Und sie sich auch. Aber nun, nach der ersten Bewährung, lächelt sie viel. "Die Marke Jil Sander ist meinem Wesen tief verbunden und mein Traum von raffinierter, kompromisslos moderner Mode so frisch wie am ersten Tag. Paradigmen ändern und entfalten sich von Saison zu Saison, aber das Herz einer Marke bleibt gleich. Es ist eine große Herausforderung und noch größere Freude für mich, die heutige Identität zu entwerfen. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser Augenblick denkbar günstig ist. Die Modewelt braucht klare Handschriften und authentische Stimmen. Ich werde mein Bestes tun, in diesem Chor wieder dabei zu sein." Seit Sonnabend ist die reine Stimme deutlich zu hören.