Bei Samuel Kochs dramatischem Unfall bei „Wetten, dass..?“ hielt ein Millionenpublikum den Atem an. Viele Menschen zeigten ihre Anteilnahme. Ihnen antwortet Koch 16 Monate später mit einem Buch, in dem er für Lebensmut und Gottvertrauen wirbt.

Berlin. Samuel Koch sitzt mit scheuem Blick in seinem Spezialrollstuhl. Jeanshemd, Dreitagebart, die blonden Haare verstrubbelt. „Das ist heftig“, sagt er mit leiser Stimme. Ein seitlich am Kopf befestigtes Mirkofon macht es für jeden hörbar. Mit „heftig“ meint der 24-Jährige nicht seinen missglückten Stelzenstunt bei „Wetten dass...?“ im Dezember 2010, seit dem er vom Hals abwärts gelähmt ist. Heftig empfindet er vielmehr das nicht abreißende Blitzlichtgewitter von mehreren Dutzend Kameras bei der Vorstellung seiner Autobiografie „Zwei Leben“ am Montag in Berlin.

„Bitte mal nach links gucken.“ „Und nach rechts.“ „Hierher, in die Mitte.“ Die Kameraleute drängeln sich ums beste Bild. „Jetzt bitte mal mit dem Buch.“ „Kann ich nicht in die Hand nehmen“, kontert Koch lakonisch und schiebt lächelnd ein „Leider“ nach. Der 24-Jährige wirkt still, zurückhaltend, bescheiden, wägt seine Worte ab. Er lässt lieber andere reden. Etwa Thomas Gottschalk, der kurz den Auftakt der Pressekonferenz moderiert und sehr darauf bedacht ist, immer wieder zu betonten, dass er sich hier als Botschafter für Samuel fühle und keineswegs „irgendwelche, auch nicht die leisesten eigenen Interessen“ habe.

Wie schon zahlreiche Medien zuvor „hypen“ Gottschalk und der Verleger des adeo-Verlags, in dem Kochs Buch erscheint, den jungen Mann als großen Mutmacher, als einen, der nie die Hoffnung verlor, der sein athletisches Leben, das der Unfall so radikal zerstörte, mit unendlichem Optimismus wieder in den Griff bekommen hat. Der – wenn auch nur bildlich – rasant schnell wieder auf die Beine gekommen ist. Koch entgegnet, dass dieser äußere Schein manchmal trüge: „Natürlich geht's mir oft kacke.“ Aber es sei ja kein ästhetisches Bild, wenn er hier säße und weinte. Das interessiere doch niemanden. Und nein, 16 Monate nach dem Unfall könne er nicht sagen, dass er sich an den Rollstuhl gewöhnt habe. Auch nicht daran, komplett auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Aber er freut sich, jetzt wieder in einer eigenen Wohnung zu leben – mit 24 Stunden Rundumbetreuung – und sein Schauspielstudium in Hannover fortzusetzen.

Auf die Frage, ob sein Buch eine Aufforderung sei, weniger zu jammern, sondern das Leben mehr zu genießen, antwortet Koch: „Ich kann mir nicht anmaßen zu sagen: 'Leute, seid alle glücklich.'“ Dazu seien Schicksale viel zu wenig vergleichbar. Klar, er wünsche sich, dass sein Buch anderen Hoffnung und Mut mache. „Und dass es sich öfters lohnt, als man vielleicht denkt, festzuhalten an einem Leben, in dem Wünsche und Perspektiven zerstört sind.“ Wenn das Buch das bewirke, nehme es damit vielleicht seinem Unfall etwas von seiner „Sinnlosigkeit“.

In seinem Buch beschreibt Koch, der aus einer kirchlich aktiven Protestantenfamilie stammt, wie der Unfall an seinem Glauben rüttelte. In den ersten zwei Wochen nach dem Sturz habe ihn auf der Intensivstation das Gebet aufrecht erhalten: „Ich wollte doch wieder laufen können.“ Als er die Wahrheit begriff – gelähmt für immer, begann er zu hadern: „Mein Gott, warum nimmst du mir ausgerechnet das, was mir im Leben am wichtigsten war, mich am meisten ausmachte?“ Seine Gedanken seien Amok gelaufen, sein Gebet sei ungerecht geworden. Ein Freund habe ihn gefragt: „Samuel, wie kannst du eigentlich noch das 'Vaterunser' beten? Wie ist es mit dem Satz: 'Dein Wille geschehe'?“

Mit christlichen Freunden führte er viele Gespräche darüber. „Die Art, wie ich mit Gott über meine Lage, meine Sorgen und Wünsche spreche, hat sich im Laufe der Monate immer wieder geändert.“ In langen, wachen Nächten habe er mit Gott diskutiert. Jeden Morgen lässt er sich Bibelverse, die „Herrenhuter Losungen“, vorlesen. Früher sei er oft wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Gott auf ihn aufpasse. „Inzwischen ist mir klar geworden, dass die Sache so nicht läuft.“ Aber er glaube, dass Gott auch aus schlechten Ereignissen letztlich etwas Gutes machen könne. „Wie das in meinem Fall aussehen soll, weiß ich allerdings nicht. Ich bin immer noch mit Gott im Gespräch darüber.“

Zitate von und über Samuel Koch

„Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können. Ja, ich wollte den Leuten auch etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist, wenn ich da vorn stehe, und dies war eine große Chance dazu. Und schließlich: Ja, ich bin harmoniebedürftig und konnte immer schon schlecht Nein sagen. Schon gar nicht zu einer sportlichen Herausforderung.“ (Samuel Koch)

„Es gibt keine individuelle Schuld, keinen bestimmten Umstand, der mich auf den Wagen prallen ließ, der von meinem Vater gesteuert wurde.“ (Samuel Koch)

„Ein übler Moment war, als der Halofixateur in meinen Kopf geschraubt wurde, um meinen Nacken absolut ruhig zu stellen. Die Köpfe von Ärzten, Mechanikern und Pflegern über mir, alle mit Masken. Sie schraubten gemeinsam das Ding in meinen Kopf. Mein Schädel dröhnte und brummte. Ich spürte Schmerzen, die mir das Gehirn wegzusprengen schienen. Bohrer- und Schraubgeräusche in mir. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht.“ (Samuel Koch)

„Ich fühlte mich ausgeliefert wie eine Schildkröte, die auf ihren Rückenpanzer gerollt ist.“ (Samuel Koch)

„Ich halte es gar nicht aus!, möchte ich manchmal herausschreien. Ich will wieder gehen können! Ich will wieder turnen können, Sand unter meinen Füßen spüren, jemanden umarmen, einen Spaziergang machen, mich ins Gras legen und die Hände hinter dem Kopf verschränken!“ (Samuel Koch)

„Und wenn ich von einer schicksalhaften Verbindung zwischen mir und Samuel gesprochen habe, meine ich nicht den Abschied von einer Samstagabend-Show, sondern die Tatsache, dass ich diesem jungen Mann eine tiefe Einsicht verdanke, wie man mit einem Leben umgehen kann, das eben nicht so verläuft, wie man es geplant und sich gewünscht hat.“ (TV-Moderator Thomas Gottschalk im Vorwort des Buches „Zwei Leben“ von Samuel Koch und Christoph Fasel)

„Wenn man Grenzen nicht überschreitet, entwickelt man sich nicht weiter. Das gilt wahrscheinlich fürs Turnen ebenso wie für andere Lebensbereiche. Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, kommt nicht voran. Wenn alle nichts anderes machen würden als nur Gesetze einhalten, dann wären wir heute weder als Individuen noch als Gesellschaft da, wo wir sind. Genau wie beim Turnen.“ (Samuel Koch über seine große Leidenschaft Turnen)

„Samuel war immer ein Bewegungsmensch. Der Junge ist immer auf Achse gewesen, sobald er auf eigenen Füßen stand! Eigentlich waren Saltos seine natürliche Fortbewegungsart.“ (Marion Koch, Mutter von Samuel)

„Wäre ich beim Obstbaumschneiden in einem schwäbischen Schrebergarten von der Leiter gekippt und hätte mir exakt die gleiche Verletzung zugezogen, hätten nicht so viele Hähne nach mir gekräht.“ (Samuel Koch)

„Niemand kann mir sagen, ob und wenn ja, wie viel von meiner Bewegungsunfähigkeit jemals zurückkommt. Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ (Samuel Koch)