Heulen sei nicht sein Ding, sagt Samuel Koch. Der Unfall bei „Wetten, dass..?“ hat sein Leben verändert. Wie sehr, macht die Vorstellung seiner Biografie deutlich.

Berlin. Samuel Koch hat zwei Leben: eines vor dem 4. Dezember 2010 und eines danach. Millionen Fernsehzuschauer sahen an jenem Samstagabend, wie er in „Wetten, dass..?“ beim Sprung mit Federn über fahrende Autos zu Boden stürzte. 16 Monate sind seitdem vergangen. Koch sitzt gelähmt im Rollstuhl. Nicht einmal Zähneputzen oder sich kratzen kann er alleine. Der einstige Kunstturner ist eingesperrt in einem Körper, der ihm nicht mehr gehorcht. Aber Heulen sei nicht sein Ding, sagt der 24-Jährige in seiner Biografie.

„Natürlich geht es mir auch oft kacke“, erzählt Koch am Montag Moderator Thomas Gottschalk bei der Buchvorstellung in Berlin. Ein Spalier von Fotografen und Kameras wartet dort. Erst um vier Uhr nachts ist Koch nach der sonntäglichen ARD-Talkshow von Günther Jauch zuvor ins Bett gekommen.

Der Auftritt in der Bundespressekonferenz ist anstrengend. Der Verlagsleiter reicht ihm mit dem Strohhalm Wasser zu trinken. Koch trägt ein Jeanshemd und Dreitagebart. Auf dem Buchcover sieht er aus wie ein Fotomodel. Vater Christoph atmet vor der Pressekonferenz tief durch.

Gottschalk will den Eindruck vermeiden, er wolle nach dem Aus seiner ARD-Vorabendsendung durch Samuel Sympathien sammeln. Das Ende seiner Talkshow ist kein Thema. Er stellt einfühlsame Fragen. Hochkonzentriert und ein stiller Athlet sei Koch vor dem „Wetten, dass..?“-Auftritt gewesen, erinnert sich Gottschalk. Für ihn sei der Unfall ein entscheidender Einschnitt, ein „Wake-up-Call“, gewesen. Den Entschluss, danach die ZDF-Show aufzugeben, habe er keine Sekunde bereut. Woher Koch die Kraft nehme, will der Moderator wissen. „Ich bezweifle, dass ich sie hätte.“

Natürlich sei nicht alles Gold, sagt Koch. Er sei noch im Prozess der Selbstfindung. Dass er den Stunt bereut oder zu viel gewagt hat, wird ihm auf Fragen der Reporter nicht über die Lippen kommen. Er spricht von einer „Kette von unglücklichen Umständen“. Und: „Ich finde es wichtig, auch Risiken einzugehen.“ Nach dem Unfall habe er seinen Körper zunächst noch gespürt.

In Jauchs Talkshow erzählte er von „Inseln im Körper“, die er zunehmend besser spüren könne – keine großen Fortschritte, eher ein „Fortkrabbeln“. Schmerzen hat Koch noch immer. Ihm hilft sein Glaube. Und er hält es mit Dichter Ringelnatz: Humor ist der Knopf, dass ihm nicht der Kragen platzt.

Mittlerweile ist Koch zum Studium an der Hochschule für Musik, Theater und Medien nach Hannover gezogen. Er habe „eine schöne Wohnung“. Der Alltag pendelt sich noch ein. „Ich bin guter Dinge, dass das lustig werden wird.“ Das ZDF unterstütze ihn „mit Sicherheit auf menschlicher Ebene“, nicht finanziell.

Mit der in der „Bild“-Zeitung vorab veröffentlichten Biografie will Koch die vielen Fragen an ihn beantworten und auf die Postzuschriften reagieren. Sie soll auch ein Mutmacher sein. Nach dem Rummel will er sich „im Groben“ wieder aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Fotos im Buch zeigen Koch mit Waschbrettbauch beim Bogenschießen, mit Snowboard und als Fallschirmspringer. Dieses Leben will der 24-Jährige heute nicht verdrängen. Für ihn ist seine Vergangenheit ein „kostbarer Schatz“, wie er sagt.

Co-Autor Fasel sagt, das Buch sei „ein Stück Selbstverarbeitung“. Es ist auch eine Rechtfertigung. Nein, das ZDF habe seine aufwendige Behandlung nicht bezahlt, betont Koch in „Zwei Leben“. Er habe vom Sender zwar „einen pauschalen Betrag“ erhalten, für den größten Teil der Behandlungskosten sei aber seine eigene Krankenkasse aufgekommen.

Geld war auch ein Anreiz für seinen Auftritt bei „Wetten, dass..?“. Über die fatale Wette schreibt Koch: „Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können.“ Den Einsatz hätte er fast mit dem Leben bezahlt.

Trotzdem würde Koch die Wette jederzeit wiederholen, wenn er könnte, sagt Fasel. Riskant sei der Einsatz nicht gewesen, meint der Journalist. Samuel habe monatelang trainiert und mehr als 500 Sprünge absolviert, ohne sich verletzt zu haben. Er habe den Auftritt minutiös geplant und „sogar eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt, mit verbundenen Augen zu springen“.

Warum er zu flach absprang und deshalb mit dem Kopf das Dach des Autos touchierte, kann der 24-Jährige nicht mehr sagen. „Auch wenn ich noch sehr in meiner Erinnerung krame – viel weiß ich nicht mehr von dem Sturz und den Sekunden davor.“ Der Kandidat selbst habe den Unfall durch Fehler im Bewegungsablauf verursacht, heißt es in einem sportwissenschaftlichen Gutachten, welches das ZDF im Januar 2011 vorstellte. In der ARD-Talkshow „Günther Jauch“ am Sonntag sagte Koch zur Schuldfrage: „Wer sonst sollte schuld sein außer mir?“

Den Ärzten habe er zu keinem Zeitpunkt Vorwürfe gemacht. „Ob Fehler gemacht wurden oder es andere Möglichkeiten gab, weiß keiner, und es herauszufinden, verändert meine Situation nicht“, sagt der ehemalige Turner, der seinen Körper nach dem Unfall noch gespürt hat. Die Lähmung sei erst später aufgetreten.

Niemand könne sagen, ob und wenn ja, wie viel von seiner Bewegungsunfähigkeit zurückkommt. „Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ Würde das Wunder geschehen, wäre es der Beginn seines dritten Lebens.

Zitate von und über Samuel Koch

„Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können. Ja, ich wollte den Leuten auch etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist, wenn ich da vorn stehe, und dies war eine große Chance dazu. Und schließlich: Ja, ich bin harmoniebedürftig und konnte immer schon schlecht Nein sagen. Schon gar nicht zu einer sportlichen Herausforderung.“ (Samuel Koch)

„Es gibt keine individuelle Schuld, keinen bestimmten Umstand, der mich auf den Wagen prallen ließ, der von meinem Vater gesteuert wurde.“ (Samuel Koch)

„Ein übler Moment war, als der Halofixateur in meinen Kopf geschraubt wurde, um meinen Nacken absolut ruhig zu stellen. Die Köpfe von Ärzten, Mechanikern und Pflegern über mir, alle mit Masken. Sie schraubten gemeinsam das Ding in meinen Kopf. Mein Schädel dröhnte und brummte. Ich spürte Schmerzen, die mir das Gehirn wegzusprengen schienen. Bohrer- und Schraubgeräusche in mir. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht.“ (Samuel Koch)

„Ich fühlte mich ausgeliefert wie eine Schildkröte, die auf ihren Rückenpanzer gerollt ist.“ (Samuel Koch)

„Ich halte es gar nicht aus!, möchte ich manchmal herausschreien. Ich will wieder gehen können! Ich will wieder turnen können, Sand unter meinen Füßen spüren, jemanden umarmen, einen Spaziergang machen, mich ins Gras legen und die Hände hinter dem Kopf verschränken!“ (Samuel Koch)

„Und wenn ich von einer schicksalhaften Verbindung zwischen mir und Samuel gesprochen habe, meine ich nicht den Abschied von einer Samstagabend-Show, sondern die Tatsache, dass ich diesem jungen Mann eine tiefe Einsicht verdanke, wie man mit einem Leben umgehen kann, das eben nicht so verläuft, wie man es geplant und sich gewünscht hat.“ (TV-Moderator Thomas Gottschalk im Vorwort des Buches „Zwei Leben“ von Samuel Koch und Christoph Fasel)

„Wenn man Grenzen nicht überschreitet, entwickelt man sich nicht weiter. Das gilt wahrscheinlich fürs Turnen ebenso wie für andere Lebensbereiche. Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, kommt nicht voran. Wenn alle nichts anderes machen würden als nur Gesetze einhalten, dann wären wir heute weder als Individuen noch als Gesellschaft da, wo wir sind. Genau wie beim Turnen.“ (Samuel Koch über seine große Leidenschaft Turnen)

„Samuel war immer ein Bewegungsmensch. Der Junge ist immer auf Achse gewesen, sobald er auf eigenen Füßen stand! Eigentlich waren Saltos seine natürliche Fortbewegungsart.“ (Marion Koch, Mutter von Samuel)

„Wäre ich beim Obstbaumschneiden in einem schwäbischen Schrebergarten von der Leiter gekippt und hätte mir exakt die gleiche Verletzung zugezogen, hätten nicht so viele Hähne nach mir gekräht.“ (Samuel Koch)

„Niemand kann mir sagen, ob und wenn ja, wie viel von meiner Bewegungsunfähigkeit jemals zurückkommt. Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ (Samuel Koch)

Mit Material von dapd und dpa