Es hätte der Sprung seines Lebens werden sollen, stattdessen fiel Samuel Koch ins Bodenlose. Knapp eineinhalb Jahre nach seinem schweren Sturz in der ZDF-Sendung “Wetten, dass...?“ erzählt der Schwerstgelähmte seine „Zwei Leben“.

Berlin. Am 4. Dezember 2010 um 20.38 Uhr geht Samuel Kochs erstes Leben zu Ende. „Rechter Fuß, linker Fuß, Einsprung, Absprung - hoch in den Salto!“, denkt er noch, kurz bevor es knallt und Nacht wird. Nahezu zehn Millionen Menschen erleben mit, wie der junge Mann in der 191. ZDF-Show „Wetten, dass..?“ in der Düsseldorfer Messehalle mit Sprungstelzen an den Füßen über ein fahrendes Auto springt, mit dem Kopf gegen die Dachkante des Fahrzeugs schlägt und zu Boden stürzt. Dort bleibt er reglos liegen. Nur einmal soll er kurz die Augen aufgeschlagen und zu seinem Vater gesagt haben: „Papa, ich will wieder laufen können!“

In seinem zweiten Leben kann Samuel Koch nicht laufen. Er kann so vieles nicht mehr. „Meine Hände hängen herunter wie abgestorbene Tintenfischtentakeln, mit meinen Fingern kann ich nichts greifen oder halten. Aber ich kann wenigstens ohne technische Unterstützung atmen“, beschreibt der 24-Jährige seinen körperlichen Zustand in seiner Autobiografie „Zwei Leben“, die am Montag im Adeo-Verlag erscheint. Samuel ist seit seinem Unfall vom Hals abwärts gelähmt. Er sitzt in einem Rollstuhl, angetrieben von Elektromotoren, versehen mit einem Joystick und Schaltern, die er mit Kopfbewegungen und seinen an den Schultern herunterhängenden Armen bedient.

„Das Maß an Ausgeliefertsein ist schon sehr groß“, sagt Journalist Christoph Fasel im Gespräch mit dapd. Samuel könne nicht einmal alleine essen. Fasel hat dem ehemaligen Turner geholfen, das Buch zu schreiben. Auszüge hat die „Bild“-Zeitung in den vergangenen Tagen vorab veröffentlicht. Das Boulevardblatt hat den medialen Hype um den verunglückten Wettkandidaten neu entfacht. „Auf die Popularität würde Samuel gerne verzichten“, sagt Fasel.

Doch Koch profitiert von der Aufmerksamkeit, die sein Unfall in der Öffentlichkeit ausgelöst hat. „Wäre ich beim Obstbaumschneiden in einem schwäbischen Schrebergarten von der Leiter gekippt und hätte mir exakt die gleiche Verletzung zugezogen, hätten nicht so viele Hähne nach mir gekräht“, schreibt er. Wäre er nicht so bekannt, hätte er wohl kaum ein Buch geschrieben.

Das Geld aus dem Buchverkauf kann Koch gut gebrauchen: Im April habe Samuel sein Schauspielstudium in Hannover wieder aufgenommen, sagt Fasel. Er lebe in einer barrierefreien Wohnung und werde rund um die Uhr von Pflegekräften betreut.

Co-Autor Fasel sagt, das Buch sei „ein Stück Selbstverarbeitung“. Es ist auch eine Rechtfertigung. Nein, das ZDF habe seine aufwendige Behandlung nicht bezahlt, betont Koch in „Zwei Leben“. Er habe vom Sender zwar „einen pauschalen Betrag“ erhalten, für den größten Teil der Behandlungskosten sei aber seine eigene Krankenkasse aufgekommen.

Geld war auch ein Anreiz für seinen Auftritt bei „Wetten, dass..?“. Über die fatale Wette schreibt Koch: „Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können.“ Den Einsatz hätte er fast mit dem Leben bezahlt.

Trotzdem würde Koch die Wette jederzeit wiederholen, wenn er könnte, sagt Fasel. Riskant sei der Einsatz nicht gewesen, meint der Journalist. Samuel habe monatelang trainiert und mehr als 500 Sprünge absolviert, ohne sich verletzt zu haben. Er habe den Auftritt minutiös geplant und „sogar eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt, mit verbundenen Augen zu springen“.

Warum er zu flach absprang und deshalb mit dem Kopf das Dach des Autos touchierte, kann der 24-Jährige nicht mehr sagen. „Auch wenn ich noch sehr in meiner Erinnerung krame – viel weiß ich nicht mehr von dem Sturz und den Sekunden davor.“ Der Kandidat selbst habe den Unfall durch Fehler im Bewegungsablauf verursacht, heißt es in einem sportwissenschaftlichen Gutachten, welches das ZDF im Januar 2011 vorstellte. In der ARD-Talkshow „Günther Jauch“ am Sonntag sagte Koch zur Schuldfrage: „Wer sonst sollte schuld sein außer mir?“

„Ich will wieder gehen können! Ich will wieder turnen können, Sand unter meinen Füßen spüren, jemanden umarmen, einen Spaziergang machen, mich ins Gras legen und die Hände hinter dem Kopf verschränken!“, schreibt Koch. Doch niemand könne ihm sagen, ob und wenn ja, wie viel von seiner Bewegungsunfähigkeit zurückkommt. „Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ Würde das Wunder geschehen, wäre es der Beginn seines dritten Lebens.

Zitate von und über Samuel Koch

„Ja, der Auftritt bei 'Wetten, dass..?' war eine Herausforderung, die mich reizte. Ja, das Geld, das ich als Wettkönig verdient hätte, hätte ich sehr gut gebrauchen können. Ja, ich wollte den Leuten auch etwas von dem mitgeben, was mir wichtig ist, wenn ich da vorn stehe, und dies war eine große Chance dazu. Und schließlich: Ja, ich bin harmoniebedürftig und konnte immer schon schlecht Nein sagen. Schon gar nicht zu einer sportlichen Herausforderung.“ (Samuel Koch)

„Es gibt keine individuelle Schuld, keinen bestimmten Umstand, der mich auf den Wagen prallen ließ, der von meinem Vater gesteuert wurde.“ (Samuel Koch)

„Ein übler Moment war, als der Halofixateur in meinen Kopf geschraubt wurde, um meinen Nacken absolut ruhig zu stellen. Die Köpfe von Ärzten, Mechanikern und Pflegern über mir, alle mit Masken. Sie schraubten gemeinsam das Ding in meinen Kopf. Mein Schädel dröhnte und brummte. Ich spürte Schmerzen, die mir das Gehirn wegzusprengen schienen. Bohrer- und Schraubgeräusche in mir. Ich wollte schreien. Aber ich konnte nicht.“ (Samuel Koch)

„Ich fühlte mich ausgeliefert wie eine Schildkröte, die auf ihren Rückenpanzer gerollt ist.“ (Samuel Koch)

„Ich halte es gar nicht aus!, möchte ich manchmal herausschreien. Ich will wieder gehen können! Ich will wieder turnen können, Sand unter meinen Füßen spüren, jemanden umarmen, einen Spaziergang machen, mich ins Gras legen und die Hände hinter dem Kopf verschränken!“ (Samuel Koch)

„Und wenn ich von einer schicksalhaften Verbindung zwischen mir und Samuel gesprochen habe, meine ich nicht den Abschied von einer Samstagabend-Show, sondern die Tatsache, dass ich diesem jungen Mann eine tiefe Einsicht verdanke, wie man mit einem Leben umgehen kann, das eben nicht so verläuft, wie man es geplant und sich gewünscht hat.“ (TV-Moderator Thomas Gottschalk im Vorwort des Buches „Zwei Leben“ von Samuel Koch und Christoph Fasel)

„Wenn man Grenzen nicht überschreitet, entwickelt man sich nicht weiter. Das gilt wahrscheinlich fürs Turnen ebenso wie für andere Lebensbereiche. Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, kommt nicht voran. Wenn alle nichts anderes machen würden als nur Gesetze einhalten, dann wären wir heute weder als Individuen noch als Gesellschaft da, wo wir sind. Genau wie beim Turnen.“ (Samuel Koch über seine große Leidenschaft Turnen)

„Samuel war immer ein Bewegungsmensch. Der Junge ist immer auf Achse gewesen, sobald er auf eigenen Füßen stand! Eigentlich waren Saltos seine natürliche Fortbewegungsart.“ (Marion Koch, Mutter von Samuel)

„Wäre ich beim Obstbaumschneiden in einem schwäbischen Schrebergarten von der Leiter gekippt und hätte mir exakt die gleiche Verletzung zugezogen, hätten nicht so viele Hähne nach mir gekräht.“ (Samuel Koch)

„Niemand kann mir sagen, ob und wenn ja, wie viel von meiner Bewegungsunfähigkeit jemals zurückkommt. Es kann sein, dass sich erst nach zwei Jahren etwas tut. Es kann auf einen Schlag geschehen. Oder in 30 Jahren. Oder nie.“ (Samuel Koch)