Um steigenden Unfallzahlen entgegenzuwirken, lassen mehrere EU-Staaten ältere Verkehrsteilnehmer regelmäßig überprüfen. Deutschland diskutiert noch.

Hamburg. Ein 91 Jahre alter Autofahrer demolierte vergangene Woche in Wiesbaden beim Einparken vier Autos und prallte dann frontal gegen eine Hauswand. Solche spektakulären Fälle sorgen zwar immer wieder für Schlagzeilen, sind aber äußerst selten.

Senioren bauen die meisten Unfälle an engen Baustellen, stark befahrenen Kreuzungen und beim Wechseln der Spur - dort, wo auch jüngere Verkehrsteilnehmer besonders aufpassen müssen. Trotzdem stehen die Älteren zunehmend in der Kritik, sollen zum Beispiel nach Meinung von Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft einen Fahrtauglichkeitstest machen. Auch Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) hat sich bereits für regelmäßige Gesundheitsprüfungen ausgesprochen. Diese sollten zusammen mit einer EU-Vorgabe eingeführt werden, den Führerschein alle 15 Jahre zu erneuern. Der Verwaltungsakt könnte dann mit einem Sehtest verbunden werden.

Unsere Gesellschaft wird immer älter, der Anteil der Senioren nimmt stetig zu. Schätzungen gehen davon aus, dass bereits in drei Jahren mehr als ein Drittel der Autofahrer älter als 60 Jahre sein wird. "In den kommenden Jahren wird der Anteil von älteren Autofahrern noch viel höher sein", sagt Experte Brockmann. Er fordert deshalb regelmäßige Fahrtests unter Anleitung von erfahrenen Trainern - für alle Altersklassen. Bei den Senioren führen diese oft sogar "zu erstaunlichen Ergebnissen und gleichen einer Verjüngungskur", sagt er. Der ADAC dagegen kritisiert diese sogenannten Mobilitäts-Checks als eine Form der Altersdiskriminierung.

Die Unfallstatistik in Deutschland zeigt, dass der Anteil älterer Verkehrsteilnehmer, die einen Zusammenstoß verursachen und dabei schwer verletzt werden, zunimmt. "Während die Entwicklung bei anderen Altersgruppen eher positiv ist, ist sie bei den Senioren ungünstig verlaufen", sagt Verkehrspsychologe Bernhard Schlag aus Dresden.

Diese Entwicklung bestätigt eine erst in der vergangenen Woche vorgestellte Unfallstatistik der Hamburger Polizei. Sie zeigt, dass Senioren zu den am stärksten gefährdeten Altersgruppen im Straßenverkehr gehören. Danach stieg die Zahl der bei Unfällen getöteten und verletzten über 64-Jährigen 2011 um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an. Es ist der höchste Anstieg im Vergleich der Altersgruppen. Insgesamt waren Senioren in der Hansestadt an 10 962 Unfällen beteiligt, das sind 960 Unfälle oder fast zehn Prozent mehr als 2010. Vor fünf Jahren wurden noch 8774 Unfälle mit Senioren registriert. Hinzu kommt: Mehr als 61 Prozent der Unfälle sind von ihnen verursacht worden. Diese Zahlen beziehen sich allerdings nicht nur auf den Autoverkehr, die Statistik gibt auch Unfälle von Radfahrern und Fußgängern wieder.

+++ Hamburg: Noch nie so viele Verkehrsunfälle +++

Untersuchungen in Berlin haben ergeben, dass die Zahl der Unfälle, an denen Verkehrsteilnehmer ab 65 Jahren beteiligt sind, 2011 auf 13 506 gestiegen ist (2005: 9481). Die Hauptursachen liegen im Nichtgewähren der Vorfahrt (787 Fälle), Einfahren in den fließenden Verkehr (825), in Fehlern beim Abbiegen (1044), dem Wechsel der Fahrbahn (1429) und in ungenügendem Sicherheitsabstand (3216).

42,9 Millionen Pkw sind in Deutschland insgesamt zugelassen, 1,7 Millionen davon auf Besitzer zwischen 75 und 84 Jahren. In dieser Altersgruppe ist es normal, dass man stärker mit gesundheitlichen Problemen - Seh- und Hörschwäche, verminderter Reaktionsfähigkeit, Herz-Kreislauf-Beschwerden - zu kämpfen hat als Fahranfänger zwischen 18 und 21 Jahren.

Die jüngeren Autofahrer werden in Zukunft mehr Rücksicht auf die älteren nehmen müssen, schon deshalb, weil Letztere in der Überzahl sein werden, wenn die Bevölkerungsentwicklung so weitergeht. Psychologe Schlag fordert deshalb auch "mehr Geduld und Anpassungsvermögen", wenn Opa wieder mal mit 70 über die Landstraße zuckelt oder beim Abbiegen fast einschläft.

Während in Deutschland noch diskutiert wird, die laut EU-Führerscheinrichtlinie mögliche Überprüfung der Fahrtauglichkeit ab 50. Lebensjahr umzusetzen, müssen Senioren in vielen anderen EU-Ländern regelmäßig beweisen, dass sie noch fit sind: in Schweden und Großbritannien alle drei Jahre, in den Niederlanden ab 70 alle fünf Jahre. In Spanien sind die Regeln besonders streng. Hier findet der erste Seh- und Hörtest mit 45 statt, dann alle zehn Jahre und ab 75 alle zwei.