Opfer rannte aus Berliner U-Bahn vor ein Auto. Weißer Ring nennt Urteil “zynisch“

Berlin. Sein Tod hatte in Berlin eine Welle der Anteilnahme ausgelöst. An der Straße, wo Giuseppe Marcone mit 23 Jahren starb, wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Dem Trauerzug für ihn folgten Hunderte Menschen.

Das Opfer war am 17. September 2011 nach einer Schlägerei im U-Bahnhof Kaiserdamm auf eine mehrspurige Straße geflüchtet. Dort wurde Marcone von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Ein halbes Jahr nach dem tragischen Vorfall wurden gestern die Urteile über die zwei U-Bahn-Schläger gefällt. Haupttäter Ali Eren T., 21, bekam wegen Körperverletzung mit Todesfolge zwei Jahre Gefängnis - zur Bewährung. Er wird aus der Untersuchungshaft entlassen und muss nun 600 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das Gericht blieb damit weit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die viereinhalb Jahre Gefängnis beantragt hatte, weil der Mann Giuseppe verfolgt und vor das Auto gejagt haben soll. Der mitangeklagte Schläger Baris B., 22, erhielt ebenfalls eine Bewährungsstrafe - von vier Monaten. Die Anklagebehörde prüft eine Revision.

Als das Urteil verkündet wurde, ging ein Raunen durch den Saal. Freunde des Opfers reagierten bestürzt. Die 50 Jahre alte Mutter des Opfers, die kerzengerade und ohne Angehörige im Gerichtssaal saß, verfolgte reglos die Urteilsverkündung. Dann verließ sie kommentarlos das Gericht. Das Landgericht Berlin sagte in der Urteilsbegründung, beide Täter seien verantwortlich für den sinnlosen Tod von Giuseppe M. Eine tödliche Hetzjagd sah das Gericht nicht. Das Opfer starb durch eine "Verkettung unglücklichster Umstände".

Der Vorsitzende Richter Ralf Ehestädt sprach von einer Kurzschlussreaktion durch Marcone - Panik oder Todesangst konnten nicht festgestellt werden. "Es war eine Flucht Hals über Kopf. Wenn er etwas langsamer gelaufen wäre, wäre es nicht passiert." Ehestädt nannte den Fall minderschwer und sagte über die Verurteilten: "Sie haben den dicken Max gemacht, sie waren alkoholisierte Idioten." Strafmildernd sahen die Richter, dass beide Angeklagte geständig waren und nicht vorbestraft sind. Sie hätten ihr Verhalten bedauert.

Der Weiße Ring kritisierte die Entscheidung des Gerichts. "Aus Sicht der Opfer wirkt das Urteil zynisch. Damit werden für die Gesellschaft falsche Zeichen gesetzt", sagte Helmut Küster von der Opferschutzorganisation.

In der Tatnacht hatte der betrunkene Ali T. mit seinem Bekannten im U-Bahnhof von Giuseppe, der als hilfsbereit und sympathisch galt, und dessen Freund Raoul, 22, Zigaretten gefordert. Obwohl Raoul sie ihnen zuwarf, kam es zu keiner Beruhigung. Ali T. schlug zu, nachdem Baris B. dem Opfer den ersten Schlag versetzt hatte. Die angegriffenen Freunde verteidigten sich "zu Recht" mit einem Schlag und flohen. Während Ali T. Giuseppe nachsetzte, blieb Raoul benommen auf dem Bahnsteig zurück.

Immer wieder kommt es in Berliner U-Bahnhöfen zu Gewaltattacken, bei denen Menschen zufällig zu Opfern werden. Dieser Fall war der erste in Berlin, bei dem ein Mensch starb. Richter Ehestädt sagte, Gewalttaten erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit. Jedoch dürften auch zur Abschreckung keine unangemessenen Strafen verhängt werden. Das Strafmaß bleibe die persönliche Schuld.

Zuletzt hatte das Urteil gegen einen Gymnasiasten zu Diskussionen geführt. Nach einer Gewaltorgie gegen einen Handwerker im U-Bahnhof Friedrichstraße war der Schüler im September 2011 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Er blieb aber auf freiem Fuß und konnte sich weiter auf sein Abitur vorbereiten, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.