Angehörige der 28 Toten wurden zum Unglücksort in der Schweiz gebracht. Obduktion soll klären, ob der Fahrer gesundheitliche Probleme hatte

Brüssel/Hamburg. Um 11 Uhr hält Belgien heute für einen Moment inne. Drei Tage nach dem schweren Busunglück in der Schweiz gedenkt das Land der 28 Opfer - 22 Schulkinder und sechs Erwachsene. Nach der Schweigeminute werden sich die Sirenen der Feuerwehr in vielen Gemeinden mit dem Klang von Kirchenglocken mischen - im niederländischsprachigen Flandern, wo die Kinder zuhause waren, ebenso wie in der französischsprachigen Wallonie.

In der Kapelle auf dem Zentralfriedhof der Schweizer Kantonshauptstadt Sitten erlebten die Angehörigen der Toten gestern die wohl schwerste Stunde ihres Lebens. Dort waren die Leichen aufgebahrt, und die Eltern mussten anhand persönlicher Dinge, Fotos und der sterblichen Überreste ihre Kinder identifizieren. Dann hatten sie Gelegenheit, allein mit ihnen zu sein und zu beten. Anschließend standen die Trauernden in Gruppen zusammen, umarmten sich, um irgendwie Halt zu finden. Um das tragische Ereignis zumindest in Ansätzen begreifen zu können, wurden sie von der Polizei auch zur Unfallstelle gefahren - immer in Begleitung von Psychologen und abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Sie legten im Autobahntunnel nahe Siders Blumen und Briefe ab.

Zwei Herkules-Transportmaschinen C-130 der belgischen Armee werden heute die Särge vom kleinen Alpenflughafen Sion nach Brüssel bringen. Drei der 24 bei dem Unfall verletzten Kinder schwebten gestern noch in Lebensgefahr. 20, unter ihnen ein deutscher Jugendlicher, sind auf dem Weg der Besserung; einem Kind geht es "den Umständen entsprechend gut". Die meisten erlitten mehrfache Knochenbrüche. Die transportfähigen Grundschüler aus Lommel und Heverlee wurden entweder mit Autos, einem Linienflug oder mit Rettungsflugzeugen in die Heimat gebracht.

Warum es zu diesem folgenschweren Unfall kam, ist nach wie vor ungewiss. Fest steht aber, dass weder eine Übermüdung des Fahrers noch überhöhte Geschwindigkeit zur Tragödie geführt haben. Letzteres ergab eine Auswertung des Fahrtenschreibers. Der Bus des belgischen Unternehmens Toptours war in einem guten Zustand, er hatte erst vor fünf Monaten einen technischen Test bestanden. Untersuchungsrichter Olivier Elsig bestätigte, die Straße sei weder beschädigt gewesen, noch hätten sich Flüssigkeiten auf der Fahrbahn befunden. Es gab keinen Gegenverkehr, ein weiteres Fahrzeug war nicht beteiligt. Der belgische Fahrer, der die Strecke sehr gut kannte, wird nun obduziert, um abzuklären, ob er gesundheitliche Probleme hatte.

Möglicherweise habe eine "Verkettung von unglücklichen Umständen" zu dem Unfall geführt, vermutet Richard Eberhardt, Präsident des Internationalen Bustouristik-Verbands RDA. Unmittelbar hinter einer leichten Rechtskurve habe sich eine Haltebucht befunden, an deren Ende der Bus gegen die im rechten Winkel zur Fahrbahn stehende Wand geprallt war. "Man muss sich nach dem Unglück die Frage stellen, ob die Wände von Haltebuchten in einem flacheren Winkel abgeschrägt auslaufen müssen."

Experten werden in den kommenden Tagen und Wochen das völlig zerstörte Buswrack untersuchen, um nähere Erkenntnisse zum Unfallhergang zu erhalten. Außerdem wird das Video aus der Überwachungskamera des Tunnels ausgewertet.

Spekulationen, dass der Busfahrer kurz vor dem Unfall abgelenkt gewesen sei, weil er eine CD oder DVD einlegen wollte, wurden vom Polizeisprecher der Kantonspolizei Wallis, Renato Kalbermatten, dementiert. Er sagte der "Aargauer Zeitung", dass auf dem Video eine entsprechende Bewegung des Fahrers nicht zu sehen sei.