Im Krimi Gerichtsmediziner, im Leben Arzt: Joe Bausch über die Regeln im Knast

Werl/Hamburg. Glatze, Schnauzbart, Falten im Gesicht, sonore Stimme - so kennen ihn die Zuschauer. Doktor Joseph Roth ist der bärbeißige Gerichtsmediziner im WDR-"Tatort" aus Köln. Doch Hermann-Joseph Bausch-Hölterhoff, 58, wie er im bürgerlichen Leben heißt, führt ein Doppelleben. Wenn er nicht gerade vor der Kamera steht, arbeitet er im wahren Leben als Anstaltsarzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl.

Es ist das Verbrechen, das beide Leben verbindet. Es gibt wenige Darsteller, die ihre Figuren so gut kennen wie Joe Bausch. Er kennt die Väter, die ihre Töchter missbraucht haben, die narzisstischen Mörder, die notorischen Betrüger genauso wie die Drogendealer. Er hat so vieles gesehen und gehört in diesen Jahren. Und er kennt die Gesetze des Gefängnisses, seine ungeschriebenen Regeln. Joe Bausch hat ein Buch geschrieben über das Leben im Gefängnis. "Knast" erscheint am 15. März bei Ullstein. Wer es liest, erfährt, was es heißt, hinter Gittern zu leben - für die Gefangenen, aber auch für Joe Bausch.

Der Weg zu ihm in der JVA Werl führt über lange Flure, vorbei an verriegelten Türen. Auch in Bauschs Reich, seinem Sprechzimmer, sind die Türen verriegelt, die Fenster mit Gittern versehen. Die JVA ist eine der größten und bekanntesten Haftanstalten der Bundesrepublik. Der Gladbecker Geiselnehmer Dieter Degowski sitzt hier, der "Rhein-Ruhr-Ripper" Frank Gust und Hunderte andere Schwerverbrecher.

Als Bausch vor 25 Jahren hier anfing, hätte er nie gedacht, länger als zwei Jahre zu bleiben. Doch für den Bauernsohn aus dem Westerwald, der Theaterwissenschaften, Politik, Germanistik, Jura und Medizin studierte, wurde die JVA zur Berufung. Nie hat er den Versuch gemacht, noch einmal wegzukommen. Dabei hat er all die Schattenseiten kennengelernt. 50 Suizide gab es in dieser Zeit. Bei jedem hat er sich gefragt, was er übersehen hat. Auch die Kultur des Misstrauens, diese Angst, reingelegt zu werden, erlebt er täglich. Er weiß, wie wichtig es ist, "immer mit dem Arsch an der Wand zu bleiben". Knastsprache, die Bausch genauso beherrscht wie den Umgang mit dem, wofür sie steht: fälschlicherweise verleumdet zu werden. Drei bis vier Anzeigen pro Jahr stellen Gefangene gegen ihn, früher waren es deutlich mehr. Wegen falscher Behandlung oder nur als Test, wie weit man bei ihm gehen kann. Längst nimmt er es nicht mehr persönlich "Es gibt keine freie Arztwahl im Knast, und da ist doch klar, dass die auch mal Dampf ablassen müssen, wenn ich ihnen unbequem komme."

Bausch erzählt, wie überlebenswichtig es sei, jeden Schritt, jede Entscheidung belegen zu können. "Wer vor diesen Einschüchterungsversuchen Angst hat, braucht hier erst gar nicht anzufangen." Im Knast Angst zu verdrängen sei das Schlimmste, was man tun könne. Stattdessen beobachte er anders, sei wacher. Einen Notrufknopf hat er nicht unter seinem Schreibtisch. Wenn ein Patient ausfallend wird, ruft er schon mal einen Beamten zu Hilfe.

Berührungsängste scheint Bausch nicht zu kennen. Egal welches Verbrechen seine Patienten begangen haben, für ihn gilt, dass jeder ein Recht auf gute medizinische Versorgung hat. Er liebt seinen Beruf. Und dann ist da noch diese Faszination für das Scheitern. Woran liegt es, dass der eine zum Verbrecher wird und der andere nicht? Bausch sucht nach Antworten, beteiligt sich an Studien, liest viel. Im Grunde sei es die alte faustsche Nummer: "Ich will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält." Antworten findet er für sich im Knast und in der Schauspielerei.