Beim frontalen Zusammenstoß zweier Personenzüge in Polen sterben mindestens 16 Reisende. Ursache unklar

Warschau. "Es gab keine Notbremsung, es gab nur den Aufprall. Plötzlich wurde es finster, und der Zug stoppte", sagte Dariusz Wisniewski. "Die Lichter gingen aus, alles flog durch die Luft. Wir flogen wie Taschen durch das Abteil", berichtet ein anderer Passagier. Beide gehören zu den Überlebenden des schweren Zugunglücks, das sich im Süden Polens ereignet hat. Am Sonnabend gegen 21 Uhr sind in der Nähe der Ortschaft Szczekociny 80 Kilometer nördlich von Krakau zwei Züge mit hoher Geschwindigkeit auf demselben Gleis zusammengestoßen. Von den 350 Reisenden wurden mindestens 16 getötet, 58 verletzt, 30 davon sind in einem kritischen Zustand. Unter den Opfern ist auch eine Amerikanerin. Die Lokführer beider Züge haben überlebt und werden verhört.

"Dies ist sicherlich die tragischste Katastrophe in unserer Geschichte seit vielen, vielen Jahren. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien", sagte Ministerpräsident Donald Tusk, der gestern Morgen mit Verkehrsminister Slawomir Nowak an den Unglücksort eilte. Ihnen bot sich ein Bild des Grauens. Die ersten drei Waggons waren wie eine Ziehharmonika ineinandergeschoben, andere lagen auf der Seite. Mit schwerem Gerät versuchten die Rettungskräfte, die verkeilten Teile der Züge auseinanderzuziehen. Feuerwehrleute und 100 Polizisten stiegen in dem Chaos umher, um Verletzte zu finden. Spürhunde suchten in den Waggons nach Überlebenden - darüber der Hubschrauberlärm vom Abtransport der Schwerverletzten, das Blaulicht der Rettungsfahrzeuge.

Auf 15 Krankenhäuser in der Umgebung mussten die Verletzten aufgeteilt werden. Direkt am Unfallort wurden beheizte Zelte aufgestellt. Für Angehörige wurde eine Informations-Hotline eingerichtet. Die Regionalverwaltung organisierte kostenlose Transporte, damit diese verletzte Familienmitglieder in den Krankenhäusern besuchen konnten.

Wie es zu dieser Katastrophe kam, ist noch unklar. Fest steht, dass der aus sechs Wagen bestehende Zug Przemysl-Warschau frontal mit dem Zug Warschau-Krakau mit vier Wagen zusammengeprallt ist. Warum Letzterer auf dem falschen Gleis fuhr, müssen die Untersuchungen ergeben. Die staatliche Eisenbahngesellschaft PKP wollte darüber nicht spekulieren. Auf dem Nachbargleis gab es zum Zeitpunkt des Unglücks Reparaturarbeiten. Experten vermuten, dass die Hauptverantwortung beim Zugführer des Interregio liegt, der von der Hauptstadt nach Krakau unterwegs war. Ob es sich um menschliches Versagen oder einen technischen Defekt auf der erst kürzlich modernisierten Strecke handelt, muss durch die Staatsanwaltschaft ermittelt werden. Auf derselben Strecke war es vor 18 Jahren schon einmal zu einem Frontalzusammenstoß gekommen, nur wenige Kilometer von der Unglücksstelle entfernt.

Die Bewohner eines nahe gelegenen Dorfes waren die ersten Helfer am Unfallort. Sie halfen, die Verletzten aus den entgleisten Waggons zu bergen. Später versorgten sie die Reisenden, unter ihnen auch Ukrainer, Spanier und Franzosen, auch mit Decken und heißen Getränken. "Wir sahen viele Menschen, die im Zug gefangen waren", berichtete ein Helfer im polnischen Fernsehen. "Wir versuchten, die Fensterscheiben einzuschlagen, damit sie es leichter hatten."

Auch Präsident Bronislaw Komorowski machte sich gestern vor Ort ein Bild von der Lage und besuchte die Verletzten im Krankenhaus in der Stadt Sosnowiec. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie wichtig der Kontakt zur Familie sei, sagte er den Angehörigen von zwei verletzten Frauen. "Die Dinge können nun nur besser werden. Ich wünsche Ihnen allen das Beste." Er kündigte eine landesweite Trauer an. Der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) äußerte sich bestürzt über das Unglück und übermittelte das Mitgefühl und die Anteilnahme der Bundesregierung. "Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer und wünschen den Verletzten eine rasche Genesung", so der Minister.

Ein ähnlich schweres Zugunglück erlebte Polen 1990. Damals wurden beim Zusammenstoß zweier Züge im Warschauer Vorort Ursus 16 Menschen getötet. 1997 kamen zwölf Menschen bei einem Zugunfall in Reptowo ums Leben. Das schlimmste Bahnunglück seit dem Zweiten Weltkrieg geschah im Jahr 1980. Beim Zusammenstoß eines Güterzugs mit einem Personenzug nahe Otloczyn wurden 65 Menschen getötet.

Das letzte schwere Unglück in Deutschland passierte im Januar des vergangenen Jahres bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt: Zehn Menschen starben, als ein Nahverkehrszug mit einem Güterzug zusammenstieß.