Brandenburger will beweisen, dass man ohne Geld leben kann. In Supermarkt-Containern sucht er gezielt nach Biokost

Hamburg/Kleinmachnow. Raphael Fellmer stammt aus bürgerlichen Verhältnissen. Der Vater des 28-Jährigen ist Architekt, die Mutter Kunsttherapeutin, er hat ein abgeschlossenes Studium. Raphael Fellmer lebt mit Freundin Nieve und der fünf Monate alten Tochter Alma Lucia im brandenburgischen Kleinmachnow - (fast) ohne Geld.

Dreimal in der Woche geht der Familienvater nachts mit seinem Rucksack auf Tour und stöbert in Containern nach Dingen, die andere Leute entsorgt haben. Ob Zucker oder Spaghetti, Kekse oder Joghurt, Kürbiskerne, Salat oder Tofu, Kleidung oder Malstifte, nichts ist vor dem Anführer der Leben-ohne-Geld-Bewegung sicher. Er geht containern. Diese Idee findet derzeit immer mehr Anhänger.

Fellmer und seine Familie, die mietfrei im Souterrain eines Einfamilienhauses bei Freunden leben, achten dabei auf gesunde Kost; Produkte aus Bio-Supermärkten bevorzugen sie. Die Küchenschränke sind gut gefüllt. "Ich bezeichne mich als Lebensmittel-Retter, weil ich aus den Containern die Sachen raushole, die sonst vernichtet werden", erklärt Fellmer seine Philosophie. Juristisch gesehen ist das Diebstahl, er nennt es "retten". Sogar die ganze Welt will er retten. "Es geht um die Ressourcen auf dieser Erde insgesamt."

Der überzeugte Umweltschützer fährt mit dem Fahrrad statt mit dem Bus, den er sowieso nicht bezahlen könnte. Das Abwaschwasser fängt er auf und nutzt es zur Toilettenspülung. Wenig gebrauchte Servietten besorgt seine Freundin aus einem Restaurant. Mit diesen werden die Nase geputzt und der Allerwerteste gesäubert. Konsequent zieht er sein Konzept durch. Als er auf Einladung einer Walddorfschule in Freiburg (Breisgau) einen Vortrag hielt, griff er auf eine Methode aus den 70er-Jahren zurück: Er trampte. Die Lehrer bewerteten sein Referat als "pädagogischen Glücksfall". "Raphael verstand es, den Schülern - ob diese nun seinem Lebensentwurf zustimmen mochten oder nicht - deutlich zu machen, dass man die eigenen Ideale durchaus leben kann", berichtete Klassenlehrer Hans Hubert Schwizler. Auch zu einer Fernsehsendung reiste er per Anhalter nach Köln. Das Flugticket lehnte er ab.

Fellmer achtet auf seinen nächtlichen Streifzügen auf Ordnung. Sobald er einen Container durchsucht hat, räumt er Heruntergefallenes auf. "Man sollte den Ort mit Respekt behandeln und ihn so sauber hinterlassen, wie man ihn vorgefunden hat."

In Internetforen wird Fellmers Lebensstil kontrovers diskutiert: "Mir wäre es zu blöd, irgendwo zu containern und drauf zu hoffen, dass da was Brauchbares bei ist. Mir kann doch keiner erzählen, dass bei Minusgraden irgendwo problemlos Lebensmittel besorgt werden können", schreibt ein Nutzer. Ein anderer kritisiert: "Sein System hinkt: Die in die Abfallcontainer entsorgten Gegenstände (Essen, Kleidung usw.) hat vorab wohl irgendjemand entsorgt, der diese wiederum mit ,Geld' erworben hat. Und nun? Wenn wir alle so lebten wie er, dann gäbe es auch keinen, der irgendwas wegzuwerfen hätte. Sorry, total blöde Idee von diesem Herrn."

Ein anderer fragt nach der Gesundheitsvorsorge. Da kann Fellmer dann doch nicht ohne Staat auskommen. Aus Sorge um das Kind ist die Familie zumindest gesetzlich krankenversichert, die Kosten werden durch das Kindergeld beglichen. "Wenn wirklich mal etwas passieren sollte, ist so alles in trockenen Tüchern", sagt Fellmer.