Die Stadion-Katastrophe in Ägypten sorgt weltweit für Entsetzen, Fassungslosigkeit und Wut. Während FIFA-Präsident Sepp Blatter von einem „schwarzen Tag für den Fußball“ sprach, begannen die Ägypter mit der Aufarbeitung einer unfassbaren Tragödie.

Port Said. Die unfassbare Tragödie von Port Said schockiert die Fußball-Welt, in Ägypten beginnt die schwierige Suche nach den Schuldigen. Am Tag nach der Stadion-Katastrophe mit 74 Toten wurde weltweit der Opfer gedacht. In Ägypten mischten sich Trauer und Fassungslosigkeit aber auch mit Wut und Angst, dass die anscheinend politisch motivierten Ausschreitungen das nach der Revolution ohnehin zerrissene Land weiter spalten könnten.

„Das ist ein schwarzer Tag für den Fußball, und wir müssen Schritte einleiten, die sicherstellen, dass sich so eine Katastrophe nie wieder ereignet“, sagte FIFA-Präsident Joseph S. Blatter: „Fußball ist eine Kraft des Guten, und wir dürfen nicht zulassen, dass sie von jenen missbraucht wird, die Böses im Sinn haben.“

In Ägypten entließ Premierminister Kamal Al-Ganzouri in einer ersten Reaktion nach einer Krisensitzung des Kabinetts am Donnerstag die gesamte Spitze des nationalen Fußballverbandes. Zudem nahm Al-Ganzouri das Rücktrittsgesuch des Gouverneurs von Port Said an. Die Regierung ordnete drei Tage Staatstrauer an.

In der Stadt am Suezkanal marschierte Militär auf, um die Gefahr weiterer Krawalle zu bannen. Die größte Ausfahrtsstraße wurde abgeriegelt. Am Nachmittag mussten die Sicherheitskräfte jedoch Tränengas einsetzen, um die Demonstraten zurückzudrängen. Tausende hatte sich vor dem Innenministerium versammelt.

„Das ist eine nationale Tragödie, die das Land noch mehr destabilisieren kann. Was das für Folgen hat, ist noch nicht abzusehen“, sagte Dr. Asiem El Difraoui, Ägypten-Experte vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin.

Der Schock über die furchtbaren Bilder aus dem Port-Said-Stadion reichte weit über die Grenzen Ägyptens. Nach der Begegnung zwischen Al-Masry und Al-Ahly Kairo (3:1) waren Hunderte Anhänger der Gastgeber auf den Platz gestürmt, wo sich erschütternde Szenen abspielten. Die Anhänger warfen Steine und Flaschen auf die Gästefans und schossen mit Feuerwerkskörpern, Panik brach aus. Viele Menschen wurden erdrückt, einige stürzten von den Tribünen, erlagen Kopf- oder Stichverletzungen.

Bei den Spielern von Al-Ahly, die in Panik in die Kabine des Stadions geflüchtet waren, hinterließen die Schockmomente tiefe Spuren. „Es ist vorbei. Wir haben alle eine Entscheidung getroffen, dass wir nie wieder Fußball spielen werden“, sagte Torwart Scharif Ikrami dem privaten Fernsehsender ONTV. Hesham Sheiha, Staatssekretär des Gesundheitsministeriums, sprach schon am Mittwochabend vom „größten Unglück in der ägyptischen Fußball-Geschichte“.

Auch Mohamed Zidan vom FSV Mainz 05, derzeit einziger ägyptischer Bundesliga-Fußballer, stand unter Schock. „Ich bin eine Viertelstunde entfernt von diesem Stadion aufgewachsen. Hier habe ich als Kind meine ersten Spiele gesehen. Ich trauere um die Opfer und fühle mit den Angehörigen.“ Sofern die DFL die Erlaubnis erteilt, möchte Zidan im Auswärtsspiel seiner neuen Mannschaft am Samstag bei Schalke 04 mit einem Trauerflor auflaufen, „um zu zeigen, dass meine Gedanken bei den Menschen in meiner Heimat sind“.

In Ägypten begannen unmittelbar nach der Katastrophe die Schuldzuweisungen. Die Muslim-Bruderschaft, die größte Opposition zu den Machthabern des Militärrates, machte Anhänger des gestürzten Staatspräsidenten Husni Mubarak verantwortlich, viele sprachen vom möglicherweise gesteuerten Versagen der Polizei. Bilder, die zeigten, wie Sicherheitskräfte unbeteiligt auf den Tribünen die Jagdszenen auf dem Rasen verfolgten, gingen am Donnerstag um die Welt.

Viele Ultras von Al-Ahly Kairo hatten sich organisiert an den Kämpfen auf dem Tahrir-Platz, von dem die Revolution gegen Mubarak ausging, beteiligt. Das Spiel in Port Said war bereits im Vorfeld von regionalen Zeitungen als „Treffen der Vergeltung“ bezeichnet worden.

„Noch kann man nur spekulieren. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Katastrophe politische Hintgeründe hat, ist sehr groß“, sagte Christian Wolf vom Institut für Politische Wissenschaft an der Uni Erlangen-Nürnberg. Otto Pfister, der jahrelang ägyptische Klubs, darunter auch Al-Masry, trainiert hat, sagte: „Fußball ist in Ägypten ein Ventil für die Massen. Das können politische Gruppen ausnutzen.“