Abgeordnete der Muslimbruderschaft werfen Polizisten und Soldaten vor, nicht eingegriffen und den Tod von 71 Menschen mitverschuldet zu haben.

Port Said. Die Suche nach der Schuld nach den verheerenden Ausschreitungen in Port Said läuft. Schnell wurden Gerüchte laut, die Angriffe gegen die Fans, die die Revolution unterstützten, seien von Revolutionsgegnern ausgegangen. Doch wie es in dem Stadion so weit kommen konnte, dass am Ende 71 Menschen tot und Hunderte verletzt waren, kann noch nicht so recht erklärt werden. Die Tatsache, dass der Gouverneur von Port Said, der bisher kein Spiel verpasst hatte, nicht im Stadion war, gibt ebenso zu denken wie zahlreiche Berichte, dass die Sichereitskräfte kurz vor den Krawallen fast vollständig abgezogen werden. Waren die Angriffe tatsächlich politisch motiviert und geplant und von höherer Stelle akzeptiert?

Politiker warfen den Sicherheitskräften Untätigkeit und Versagen vor. Polizisten und Soldaten hätten sich am Tod der Menschen mitschuldig gemacht, sagte der Abgeordnete der Muslimbruderschaft, Essam el Erian, am Donnerstag. „Diese Tragödie ist ein Ergebnis vorsätzlicher Zurückhaltung von Soldaten und Polizisten“, sagte el Erian.

Am Donnerstag versammelten sich aufgebrachte Fußballfans auf dem Sphinx-Platz in Kairo und skandierten Parolen gegen den regierenden Militärrat. Für später am Tag war ein Protestmarsch zum Innenministerium geplant. Die Opposition legte unterdessen nahe, der Militärrat habe die schweren Ausschreitungen geduldet, um Kritiker des Ausnahmezustands ruhigzustellen. Die Notstandsgesetze räumen den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse ein, sollen jedoch bald aufgehoben werden.

Nach dem Spiel zwischen der Heimmannschaft Al-Masry aus Port Said und dem favorisierten Kairoer Club Al-Ahly hatten am Mittwochabend Anhänger des überraschend siegreichen Gastgebers das Feld gestürmt und mit Messern, Knüppeln und Steinen bewaffnet regelrecht Jagd auf Spieler, Betreuer und Fans von Al-Ahly gemacht. Viele der Toten seien in einem schmalen Korridor am Stadionausgang erstochen worden oder erstickt. Was für viele Fans wie der einzige Ausgang aussah, erwies sich als Falle, da am anderen Ende des Korridors die Türen verschlossen waren.

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Der Augenzeuge Ahmed Ghaffar berichtete auf Twitter, dass Menschen „übereinandergestapelt“ versuchten, das Stadion durch den Korridor zu verlassen. „Wir hatten die Wahl zwischen dem Tod, der uns von hinten verfolgte und geschlossenen Türen“. Auf Fernsehbildern ist zu sehen, dass die schwarzgekleideten Sicherheitskräfte meist untätig umherstanden.

Die Rivalität zwischen den beiden Fußballteams hat lange Tradition. Laut Muslimbruderschaft hinderten Sicherheitskräfte die Fans nicht daran, mit Messern und Knüppeln bewaffnet ins Stadion zu gehen. Die Aktivistengruppe „6. April“ warf den Sicherheitskräften vor, sich mitschuldig gemacht zu haben. Sie fragte am Donnerstag in einer schriftlichen Erklärung: „Ist es logisch, dass eine Truppe, die in der Lage war, eine Parlamentswahl in neun Provinzen zu sichern, nicht in der Lage ist, ein Fußballspiel zu sichern, bei dem Scharmützel zwischen den Fans zu erwarten sind?“

Während einer Krisensitzung der Abgeordneten warf Parlamentspräsident Saad el Katatni den Sicherheitskräften vor, bei den Krawallen bewusst nicht eingegriffen zu haben, um „die Revolution in Gefahr zu bringen“. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament, Abbas Mechimar, sagte: „Das war ein komplettes Verbrechen. Es ist Teil eines Szenarios, Chaos in Ägypten zu stiften.“

Als Reaktion auf die schweren Ausschreitungen löste der ägyptische Ministerpräsident Kamal el Gansuri den Vorstand des Fußballverbands des Landes auf. Die Mitglieder des Gremiums sollten von der Staatsanwaltschaft verhört werden, sagte der Regierungschef am Donnerstag vor dem Parlament. Zudem hätten der Gouverneur der Provinz Port Said und der Polizeichef der Region ihren Rücktritt erklärt.

Bereits am Morgen riegelten Dutzende Demonstranten den zentralen Tahrir-Platz in Kairo ab, während andere die Straße vor der nahe gelegenen Zentrale des staatlichen Fernsehens blockierten. Für Donnerstag war ein Protestmarsch zum Innenministerium geplant.

Ein Fanclub von Al-Ahly warf Sicherheitskräften und Fans von Port Said vor, sich für die Rolle der Kairoer „Ultras“ während der Revolution, die im vergangenen Jahr zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, rächen zu wollen. „Sie wollen uns dafür bestrafen, dass wir an der Revolution gegen die Unterdrückung teilgenommen haben“, hieß es in einer Erklärung. Viele Sprechchöre der Revolutionäre vom Tahrir-Platz waren Schmähchören von Fußballfans gegen die Polizei entlehnt.

Das ägyptische Innenministerium ging am Donnerstagvormittag von 74 Toten aus, darunter ein Polizist. Weitere 248 Menschen seien verletzt worden. Die Sicherheitskräfte hätten 47 Randalierer festgenommen. Eine lokale Fernsehstation rief zu Blutspenden auf. Um die Schwerstverletzten besser in Kairo behandeln zu können, entsandte die ägyptische Luftwaffe zwei Flugzeuge nach Port Said an der Mittelmeerküste.

Mit Material von sid, dpa und dapd