Mit Billig-Brustimplantaten aus Industrie-Silikon soll er Hunderttausende Frauen geschädigt haben - nun sitzt der frühere Chef und Gründer der Herstellerfirma in Polizeigewahrsam.

Paris/Hamburg. Mit Billig-Brustimplantaten aus Industrie-Silikon soll er Hunderttausende Frauen geschädigt haben - nun sitzt der frühere Chef und Gründer der Herstellerfirma in Polizeigewahrsam. Gendarmen nahmen Jean-Claude Mas, 72, gestern im Morgengrauen im Landhaus seiner Lebensgefährtin in Six-Fours-Les-Plages an der französischen Mittelmeerküste fest. Dort hatte der ehemalige Chef der mittlerweile in Konkurs gegangenen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) weitgehend unbehelligt gelebt. Er steht im Zentrum eines weltweiten Gesundheitsskandals - die Staatsanwaltschaft Marseille ermittelt gegen ihn nach einer Anzeige wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung.

Mas steht auch im Verdacht, die Insolvenz seines Betriebs organisiert zu haben und seinen Gewinn am französischen Fiskus vorbeigeschleust zu haben. Der Unternehmer war auch von Interpol gesucht worden, jedoch nicht wegen der giftigen Silikonkissen, sondern weil er 2010 in Costa Rica betrunken Auto gefahren ist. Festgenommen wurde gestern ebenfalls der ehemalige PIP-Finanzvorstand Claude Couty.

Mas, der sich vom Vertreter - unter anderem für Versicherungspolicen, Medikamente, Cognac, Wein oder Reinigungsgeräte für Zahnarztpraxen - zum Multimillionär hochgearbeitet hatte, zeigte bisher wenig Reue. So sagte er dem französischen Fernsehsender M6: "Ich habe nie bestritten, dass das Gel nicht zugelassen war."

Die Präsidentin der französischen Opfervereinigung, Murielle Ajello, zeigte sich erleichtert. "Wir warten schon sehr lange auf diese Festnahme. Sie kommt spät, aber sie kommt."

Weltweit sollen bis zu 500 000 Frauen die gefährlichen Silikonkissen erhalten haben; in Deutschland etwa 16 000. Die Vermarktung, den Vertrieb und die weitere Verwendung der Brustimplantate hatte Frankreich der Firma im April 2010 europaweit untersagt. Die nationale Krankenkasse Cnam hatte bei der Staatsanwaltschaft Marseille Strafanzeige wegen schweren Betrugs erstattet. Die Kissen können platzen, die Substanz kann zu Entzündungen führen. Ein Zusammenhang zwischen den Silikonkissen und Krebs wird befürchtet, ist aber (noch) nicht bewiesen. Deutschland, Frankreich und Tschechien hatten dazu aufgerufen, die Implantate entfernen zu lassen.

Auch der TÜV Rheinland, der dem Hersteller ein Zertifikat erteilt hatte, sieht sich mehreren Klagen ausgesetzt. Erstmals äußerte sich deren Chef Manfred Bayerlein: "Die kriminelle Energie, mit der die Führungsmannschaft von PIP über viele Jahre hinweg die Behörden und uns betrogen hat, war enorm", sagte er gestern in Düsseldorf. "Die Schicksale der betroffenen Frauen berühren uns. Deshalb arbeiten wir von Beginn an mit den Behörden zusammen, um das System PIP aufzuklären."

Der TÜV Rheinland war für die Prüfung der Produktunterlagen sowie des Qualitätsmanagement-Systems von PIP verantwortlich. Ein TÜV-Sprecher betonte, man habe Ende März 2010 durch eine Insider-Information von den Machenschaften erfahren, daraufhin sofort das Zertifikat entzogen und im Februar 2011 selbst Anzeige erstattet. Bei den Kontrollen vor Ort seien den TÜV-Experten das zugelassene Silikon und die korrekten Dokumente präsentiert worden, hatte ein TÜV-Sprecher schon früher berichtet.

Der Pariser Anwalt des TÜV Rheinland, Olivier Gutkès, erhob in der französischen Zeitung "Le Figaro" schwere Vorwürfe gegen die PIP-Belegschaft. Sie habe von den betrügerischen Aktivitäten gewusst und sich daran beteiligt, um die TÜV-Prüfer zu täuschen. Das deckt sich mit bisherigen Aussagen von Mas bei der Polizei: Sobald der TÜV nach La-Seyne-sur-Mer bei Toulon kam, wurden verdächtige Unterlagen und sogar ganze Container mit Industrie-Silikon versteckt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat seine Warnung vor möglicherweise gesundheitsgefährdenden Brustimplantaten ausgeweitet. Sie gelte nun auch für Produkte, die von der früheren GfE Medizintechnik GmbH unter dem Namen "TiBREEZE" vertrieben worden seien, teilte das Institut gestern mit. Diese Implantate seien unter Verwendung von PIP-Komponenten hergestellt und von September 2003 bis August 2004 vertrieben worden.

Video von Mas' Festnahme: www.abendblatt.de/pip