Havariertes Kreuzfahrtschiff droht, heute bei Sturm mit bis zu vier Meter hohen Wellen zu sinken. Verwirrung um vermeintlich blinde Passagierin

Hamburg/Rom. Die Reederei Costa Crociere hat gestern den Kapitän des havarierten Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia", Francesco Schettino, 52, mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Das Unternehmen wird ihn auch nicht verteidigen, sagte Anwalt Marco De Luca. Schettino wird sich wegen fahrlässiger Körperverletzung, Havarie und Verlassen des Schiffes während der Evakuierung vor Gericht verantworten müssen. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Mindestens elf Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, 21 werden noch vermisst, unter ihnen zwölf Deutsche.

Verwirrung gab es gestern um eine Frau, die sich zurzeit des Unglücks auf der Brücke des Schiffes aufgehalten hat. Die zunächst als blinde Passagierin vermutete Dominica Cemortan, 25, beteuerte in einem Interview des moldawischen Fernsehens, sie sei als regulärer Gast auf dem Schiff gewesen und auf die Brücke gerufen worden, um die Evakuierungsanweisungen für russische Passagiere an Bord zu übersetzen.

Zugleich verteidigte sie den in die Kritik geratenen Kapitän Francesco Schettino. "Er hat etwas Großartiges getan, er hat über 3000 Leben gerettet", sagte sie. Schettino sei bis mindestens 23.50 Uhr an Bord gewesen. Das Schiff war gegen 21.45 Uhr auf die Felsen aufgelaufen.

Italienische Medien berichteten, es sei kein Geheimnis, dass Kapitän und Offiziere diskret "in gewisser Zahl" Freunde oder Verwandte auf ihr Schiff einladen könnten, ohne sie zu registrieren. Solche Personen im Fall der "Costa Concordia" zu ermitteln sei wichtig, denn es könne auch die Verwirrung bei der Zahl der Vermissten erklären.

Während die meisten Italiener über Schettinos Verhalten entsetzt sind, wird er in seiner neapolitanischen Heimat von Freunden verteidigt. "Nicht aufgeben, Kapitän" stand auf einem Begrüßungsplakat. Es müsse Schluss sein, ihn an den Pranger zu stellen.

Für den Kapitän spricht, dass er sofort nach der Kollision mit dem Felsen Kurs auf eine Sandbank vor dem Hafen von Giglio nahm. Er hatte wohl versucht, das Schiff zur Evakuierung in unmittelbare Küstennähe zu navigieren. Unterdessen tauchte eine weitere Aufnahme des Funkkontaktes zwischen Hafen und der "Costa Concordia" auf, in der Kapitän Schettino betont, es habe an Bord nur einen Stromausfall gegeben. Eine halbe Stunde zuvor war das Schiff mit dem Felsen kollidiert.

Eine Auswertung von Lloyd's List Intelligence, einem renommierten Informationsdienst für die Schifffahrt, belegt, dass das 114 500 Tonnen schwere Schiff schon am 14. August 2011 die Insel in rund 230 Meter Entfernung passierte. Der Vorstandsvorsitzende der Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere, Pier Luigi Foschi, behauptet jedoch, dass das Schiff der Insel damals nicht näher als 500 Meter gekommen sei. Zudem gibt es nach Angaben von Lloyd's tatsächlich eine Seekarte des britischen Hydrografischen Instituts (UKHO) im Maßstab 1:300 000, auf der der Felsen nicht eingezeichnet ist. Ein Sprecher der UKHO sagte, "dass dieser kleine Maßstab für die Navigation in Küstennähe jedoch ungeeignet ist".

In einem Wettlauf gegen die Zeit haben Höhlentaucher der Feuerwehr gestern im Wrack weiter nach Vermissten gesucht. Sie konzentrierten sich dabei auf das vierte Deck, das mittlerweile acht Meter unter dem Wasserspiegel liegt. Für heute werden starker Wind und bis zu vier Meter hohe Wellen vorhergesagt, was die Rettungsarbeiten erschweren würde. Italiens Umweltminister Corrado Clini befürchtet, dass das Schiff komplett sinken könnte. Das Abpumpen von 1900 Tonnen Treibstoff und Schweröl aus 21 Tanks des Schiffes, das heute beginnen soll, wird voraussichtlich mehrere Wochen dauern.

Umweltschützer befürchten Schäden für das Pelagos-Meeresschutzgebiet an der toskanischen Küste, in dem sich das Schiffsunglück ereignete. Lösungsmittel, Schmieröle, Lacke und Reinigungsmittel an Bord könnten zur Gefahr für das wichtigste Walschutzgebiet im Mittelmeer werden.