Der Wiederaufbau des Landes kommt nur langsam in Gang: Eine politische Krise und die Cholera-Epidemie verhindern bisher die Rückkehr zur Normalität.

Port-au-Prince/Mexiko-Stadt. Nur schleppend kommt der Wiederaufbau des vom Erdbeben zerstörten Karibiklandes Haiti in Schwung. So lautet dieser Tage das Urteil internationaler Hilfsorganisationen, die wegen des zweiten Jahrestages ihre Arbeit im Armenhaus Amerikas bilanzieren. „Wir erkennen die Realität der Fortschritte“, sagte der Uno-Koordinator für Humanitäre Hilfe, Nigel Fisher, am Dienstag, „aber wir dürfen uns nicht von den enormen Aufgaben ablenken lassen, vor denen Haiti steht.“

„Es ist einiges in Bewegung“, sagt auch die Unternehmerin Anne-Rose Schön, die seit über 30 Jahren in Port-au-Prince lebt. „Aber man sieht noch nicht viel.“ Viele Millionen Dollar Hilfsgelder wurden ausgegeben, Schulen, Häuser und Krankenhäuser gebaut. Doch noch immer säumen Trümmer die Straßen, leben rund 500.000 Erdbebenopfer in den Obdachlosencamps. In den vergangenen Tagen wurden zwei Lager in der Stadt Petion Ville oberhalb von Port-au-Prince geräumt. Weitere sollen bald folgen.

Das ist jedenfalls das vorrangige Ziel der Regierung von Präsident Michel Martelly. Als dieser im Sommer 2011 sein Amt antrat, hatte er, wie er auf seiner Website erklärt, „keine Regierung, keinen Etat, keine Institutionen“, mit denen er das Land hätte regieren können. Jetzt trat er zum ersten Mal mit einer Rede vor das Parlament, das zuvor mehrfach die Bildung einer Regierung, und damit auch den Beginn des geordneten Wiederaufbaus, hinausgezögert hatte.

„Das Haiti des Elends, des Egoismus und der Bettelei muss verschwinden und Platz machen für ein vibrierendes, dynamisches und gerechtes Haiti“, forderte Martelly, der als Unterhaltungsmusikerpopulär geworden war. Neben der Beseitigung der Lager und der Beschaffung von Wohnraum für die Opfer nannte er vor allem die Ausweitung der Lebensmittelproduktion als vorrangige Aufgabe. Ein Ausbruch der Cholera schuf zusätzliche Probleme.

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Martelly forderte die Parlamentarier auf, die rechtlichen Voraussetzungen für eine „sozioökonomische Revolution“ zu schaffen, um vor allem auf dem Lande ein besseres und menschenwürdigeres Leben und die Bildung einer Mittelschicht zu ermöglichen. „Haiti, das war eine Anhäufung von internen Kämpfen, von Morden, Entführungen und der Blockade“, sagte er. „Das muss sich ändern.“

Martelly und seinem Premierminister Garry Conille geht es darum, dass die Haitianer ihr Schicksal selbst bestimmen und sich nicht nur auf internationale Hilfe verlassen. Der Präsident setzt dabei auch auf die dünne Schicht der Wohlhabenden: Zwei Prozent der Haitianer kontrollierten 69 Prozent der Reichtümer des Landes, erklärte er im Kongress, ohne allerdings konkret eine Umverteilung zu fordern.

Derzeit steht der Regierung eine Milliarde Dollar für konkrete Projekte zur Verfügung. Dieses Geld soll in den kommenden Jahren die Bildung, den Umweltschutz, die Energieversorgung verbessern, den Rechtsstaat stärken und Arbeitsplätze schaffen. „Es ist eine Art Feuerprobe für Martelly und seine Regierung, die nun 100 Tage im Amt ist“, sagt ein europäischer Diplomat. „Wenn dann Erfolge sichtbar werden, werden die Menschen ruhigbleiben.“

Haiti bleibt auch weiterhin auf internationale Hilfe angewiesen. Hilfsorganisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe, die Deutsche Welthungerhilfe, Caritas, die Vereinten Nationen unter anderem mit der Stabilisierungstruppe Minustah, das Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und andere waren oft schon im Lande tätig, bevor das Erdbeben im Januar 2010 mehr als 220.000 Menschen tötete. „Auch zwei Jahre nach der Katastrophe sind enorme Anstrengungen im Wiederaufbau nötig“, hieß es in einem Bericht der Katastrophenhilfe am Dienstag.