Achteinhalb Jahre Haft für Kassandras Peiniger. Er hatte das Mädchen lebensgefährlich verletzt in einen Gully geworfen

Wuppertal. Die Tat war noch brutaler als bislang bekannt, der Anlass unfassbar nichtig. Der 15 Jahre alte Peiniger der kleinen Kassandra ist gestern zu achteinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Das Landgericht in Wuppertal sprach den verhaltensauffälligen Schüler des versuchten Mordes schuldig. Ein Sprecher des Landgerichts nannte auch erstmals sein Motiv: Der damals 14-Jährige hatte sich an Kassandra rächen wollen und ihr an einem Spieltreff aufgelauert, weil sie ihn "verpetzt" hatte und er deswegen nicht mehr mit ihrem Bruder spielen durfte.

14. September 2009 im beschaulichen Velbert-Neviges: Mit der Faust schlägt der Jugendliche die Neunjährige zu Boden. Dann nimmt er einen Betonstein und zertrümmert dem Kind den Schädel, um es zu töten und dadurch unentdeckt zu bleiben. Das bewusstlose Mädchen schleift er zum Kanalschacht und stößt es eineinhalb Meter in die Tiefe. Damit nicht genug: Aus der Höhe lässt er vier bis zu 19 Kilogramm schwere Steine auf den Kopf des Kindes fallen, um sicherzugehen, dass sein Opfer stirbt. Er zieht den Deckel über den Schacht und tarnt das Versteck mit Ästen. Dann spielt er das Unschuldslamm und bietet der Polizei bei der Suche nach der Grundschülerin auch noch seine Hilfe an.

Derweil durchleidet Kassandra sieben Stunden lang ein kaum fassbares Martyrium: Mit Schädelbrüchen liegt das lebensgefährlich verletzte Mädchen in der Dunkelheit unter der Erde. Es regnet, und das Wasser im Kanal steigt und steigt. Wäre Kassandra mit dem Gesicht nach unten aufgeschlagen, wäre sie ertrunken. Durchnässt, stark unterkühlt und kurz vor dem Tod findet sie schließlich ein Spürhund der Polizei.

Tagelang schwebt Kassandra in Lebensgefahr. Die Ärzte kämpfen. Die Eltern durchleiden die schlimmsten Stunden ihres Lebens. Drei Wochen später wird der Täter gefasst, obwohl Kassandra sich an nichts erinnern kann. Der Schock: Es ist ein Teenager.

Die Kammer blieb nur wenig unter der Höchststrafe von zehn Jahren

Wegen der außergewöhnlichen Brutalität des voll schuldfähigen Jungen ging das Gericht jetzt über das vom Staatsanwalt geforderte Strafmaß von sieben Jahren und zehn Monaten hinaus. Mit achteinhalb Jahren blieb die Kammer nur wenig unter der Höchststrafe von zehn Jahren. Verteidigerin Astrid Denecke hatte fünf Jahre gefordert und erwägt nun, gegen das aus ihrer Sicht "sehr harte Urteil" in Revision zu gehen. Ihr Mandant habe den Schuldspruch "relativ gefasst" aufgenommen. Er sei völlig regungslos gewesen, berichtete ein anderer Prozessteilnehmer. Kassandras Eltern, die der halbstündigen Urteilsbegründung im Schwurgerichtssaal beiwohnten, seien mit dem Urteil zufrieden und könnten nun hoffentlich etwas Ruhe finden, sagte Nebenklage-Vertreter Holger Boden. Kassandra sei nach wie vor schwer traumatisiert und die Verletzungen seien noch längst nicht verheilt. Sie konnte erst zwei Monate nach der Tat das Krankenhaus verlassen. Seitdem ist sie in psychologischer Behandlung.

Die Öffentlichkeit war von dem Prozess die ganze Zeit ausgeschlossen. Wegen des umfassenden Geständnisses des als aggressiv bekannten Jungen konnte das Verfahren nach nur drei Wochen und sieben Verhandlungstagen abgeschlossen werden. Ursprünglich waren bis Ende Juni 17 Verhandlungstage vorgesehen. Kassandra blieb die Aussage vor Gericht wegen des Geständnisses erspart. Wegen ihrer Erinnerungslücke hatte die Justiz aber ohnehin einen Indizienprozess vorbereitet.

Schon früher tyrannisierte der angeklagte Schüler Kinder

Zur Persönlichkeit des Gewalttäters wollten die Prozessparteien wegen dessen Alter nichts verraten. Gerichtssprecher Thorsten Anger sagte nur so viel: Der Täter habe "eine besondere Gründlichkeit an den Tag gelegt, Kassandra zu töten". Dass er voll schuldfähig ist, also bei klarem Verstand und mit vollem Kalkül handelte, lässt einige Schlüsse zu. Der Schüler hat eine Vorgeschichte. Schon früher tyrannisierte er Kinder: Deswegen hatte er Hausverbot in dem Hort des Ortes. "Das Fragezeichen hinter dem Warum wird wohl noch lange stehen bleiben", sagte der Nebenkläger.