Chinesischer Frachter hielt sich nicht an die vorgegebene Fahrtroute. Die “Shen Neng One“ lief auf Grund und verliert nun Treibstoff. Der Ölteppich bedroht das Great Barrier Reef.

Hamburg/Sydney. Es zählt zu den "Sieben Weltwundern der Natur" und zum Kreis der Unesco-Weltnaturerbe-Stätten, ist mehr als 200 000 Quadratkilometer groß und in seinen Ursprüngen wohl einige Millionen Jahre alt - und aktuell stärker denn je in seiner Existenz bedroht: das Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens. Machten dem Korallenriff in der Vergangenheit vor allem der Klimawandel und der ständig wachsende Tourismus zu schaffen, so ist es nun ein Schiffsunglück, das die teils einzigartige Fauna und Flora in diesem Teil des Pazifiks gefährdet. Am Sonnabend nämlich war ein voll beladener chinesischer Frachter auf das Riff aufgelaufen, sitzt seither dort fest und droht auseinanderzubrechen; alle bisherigen Rettungsmaßnahmen scheiterten.

Bei voller Fahrt war die 230 Meter lange "Shen Neng One" (so der Name des havarierten Frachters) am Sonntag nahe der Stadt Rockhampton im australischen Bundesstaat Queensland auf das Great Barrier Reef aufgelaufen, und zwar nur wenige Stunden nach dem Start der Reise gen China vom Hafen Gladstone aus. Der Grund dafür scheint klar zu sein: Die "Shen Neng One" hielt sich nicht an die vorgeschriebenen Schiffsrouten, die jedes Jahr von rund 6 000 Schiffen problemlos befahren werden. Stattdessen nahm der chinesische Frachter eine Strecke durch ein Sperrgebiet - warum, das ist noch ungeklärt. Gewissheit allerdings herrscht in Sachen der Ladung der "Shen Neng One": Fast 1000 Tonnen Treibstoff und darüber hinaus auch noch 65 000 Tonnen Kohle hatte das Schiff an Bord. Eine Ladung, die nun dabei ist, das Great Barrier Reef und die Küste Queenslands zu verpesten. Denn auch wenn die lokalen Hilfskräfte noch am gestrigen Ostermontag versuchten, die "Shen Neng One" mithilfe von Schleppern zu stabilisieren, um sie vor dem Auseinanderreißen zu bewahren, so ist mittlerweile ein Teil des Schweröls ins Meer ausgelaufen.

"Das Öl einzudämmen und vom Riff fernzuhalten, hat oberste Priorität", sagte am Wochenende Anna Bligh, die Ministerpräsidentin von Queensland, und machte damit klar, dass der Schutz des Great Barrier Reefs in Australien ein wichtiges Staatsziel sei. Heute nun wollen die Rettungskräfte eine Sperre rund um die "Shen Neng One" errichten. Schon am Sonntag versprühten Flugzeuge Chemikalien über dem Ölteppich, der sich rund um das Schiff gebildet hatte und der den jüngsten Berichten zufolge eine Länge von schon mehreren Kilometern erreicht haben soll. Die Rettungsarbeiten gestalten sich wegen des maroden Zustands des verunglückten Frachters schwierig. Die Bergung wird wohl Wochen dauern. Dazu Anna Bligh: "Es kann sein, dass dies eine der schwierigsten Bergungen in der maritimen Geschichte Queenslands, vielleicht sogar Australiens wird."

Wegen des Befahrens eines Sperrareals drohen dem Eigentümer der "Shen Neng One" - der Firma "Shenzhen Energy", einer Tochter der größten chinesischen Reederei "Cosco" - jetzt eine Strafe von etwa einer Million australischer Dollar (was umgerechnet 680 000 Euro sind). Für die Natur kann die Strafe allerdings noch so hoch sein, sie wird von der Havarie vermutlich empfindlich getroffen. "Für das Riff stellt das aktuelle Schiffsunglück eine tickende ökologische Zeitbombe dar", sagte Gilly Llewellyn vom World Wide Fund of Nature (WWF). Zum Schutz des Riffs seien strengere Schutzvorschriften nötig, gerade mit Blick auf den zunehmenden Verkehr wegen des wachsenden Energiebedarfs Asiens. Andere Umweltschützer forderten ein Schifffahrtsverbot für die Riff-Umgebung oder wenigstens eine Lotsenpflicht für das Befahren der Region. Das Great Barrier Reef gilt als größter lebender Organismus der Erde und beherbergt eine teils einzigartige Tier- und Pflanzenwelt.