Hamburg/Paris. Eine Frau und dazu noch ein Nicht-Französin an der Spitze der französischen Feinschmecker-Bibel - das hatte es zuvor noch nie gegeben. Juliane Caspar (38) hat es geschafft. Seit 2008 ist sie Chefredakteurin des Restaurantführers "Guide Michelin". "Eine junge Deutsche ist interessanter als ein weiterer alter Franzose", schrieb ein Gourmetkritiker des Magazins "Le Figaro" - drei Sterne für Caspar. Das Interesse an ihrer Person war groß. Doch sie lehnte jedes Interview ab. Als kürzlich ihre erste französische Ausgabe erschien, brach sie ihr Schweigen. Fotos, auf denen sie ihr Gesicht zeigt, gibt es von "Madame Cuisine" allerdings bis heute nicht.

Doch nach und nach nimmt "das Phantom" Konturen an, und immer mehr Details aus ihrem Leben werden bekannt. Die Bochumerin isst zum Beispiel immer ihren Teller leer. Das hat sie von ihren Eltern. Das allein machte sie natürlich nicht zur Michelin-Chefin. Sie wurde gewählt, weil sie zum einen das Hotel- und Gastronomiegewerbe von der Pike auf gelernt hatte. Sie ließ sich im Fünf-Sterne-Hotel Colombi in Freiburg im Breisgau zur Hotelfachfrau ausbilden. Danach sammelte sie jahrelang Erfahrungen in der internationalen Spitzengastronomie, darunter in Italien, England und Südafrika. Caspar spricht vier Sprachen fließend. Zum anderen arbeitet sie bereits seit acht Jahren beim Michelin, zunächst als Testerin bei der deutschsprachigen Ausgabe mit Sitz in Karlsruhe, 2004 als Chefredakteurin der Redaktion für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Vier Jahre später wurde sie nach Paris berufen - eine Sensation. Die Kritikerin will anonym bleiben, um ungestört testen zu können. Wird sie gefragt, was sie beruflich macht, antwortet sie "Kellnerin". Das war schließlich mal ihr Job. Da kennt sie sich aus. Anfangs hatte sie den Fehler gemacht zu sagen, sie mache etwas mit Informatik. "Da bin ich bei konkreten Nachfragen ziemlich schnell ins Schleudern gekommen", sagte sie in einem ihrer seltenen Interviews.

Auch heute testet die Chefin noch selbst. Nicht mehr so häufig wie früher und hauptsächlich dort, wo sich die bisherige Bewertung ändern könnte. Manchmal isst sie allein, manchmal in Begleitung. Sie bestellt sich die anspruchsvolleren Gerichte und probiert mehrere Gänge. Dabei interessiert sie weniger das Ambiente als das, was auf dem Teller liegt. Trotzdem legt sie großen Wert auf freundliche Bedienung. "Was mich in einem Lokal am meisten stört, sind unfreundliche Angestellte", sagte Caspar der "Süddeutschen Zeitung". Service und Küche werden zwar getrennt beurteilt, aber "der Service ist der erste Eindruck". Die Feinschmeckerin gilt als durchsetzungsstark, höflich, sachlich und diskret. Als Kind fuhr sie mit ihrer Familie in den Ferien oft nach Frankreich. Das prägte ihren Geschmack. Ein Lieblingsgericht hat sie nicht. Notfalls würde sie auch Fast Food essen - aber nur im "unzurechnungsfähigem Zustand". Sie ist ein guter Gast und lobt nach jedem Essen bei Freunden drei Sterne aus. Nur den Brotkorb vorweg lässt sie unberührt, um ihr Gewicht zu halten. Schließlich verkostet sie im Jahr 250 Menüs.