Politik will Skandale aufarbeiten. Leiterin der Odenwaldschule entschuldigt sich und richtet Hotline für Betroffene ein.

Berlin. "Tut mir leid, ist verjährt." Eine solche Antwort muss für ein Missbrauchsopfer, das sich nach Jahren oder Jahrzehnten endlich zu einer Strafanzeige durchringt, geradezu zynisch sein. Doch jetzt werden Forderungen nach härterem Recht mit längeren Verjährungsfristen lauter.

Am 23. April soll ein runder Tisch zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch gebildet werden. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) lud gestern ein breites Teilnehmerfeld zu einem ersten Treffen ein. Zusammen mit Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) bat sie unter anderem Schul- und Internatsträger, die katholische und evangelische Kirche, Familienverbände und Vertreter von Ländern und Kommunen zum Gespräch. Das Gremium soll sich damit befassen, welche Art der Hilfe und Unterstützung Opfer benötigen. Zudem soll es Antworten darauf finden, was nach Übergriffen auf Kinder und Jugendliche zu tun ist und wie sich Missbrauch verhindern lässt. Auch die Frage von längeren Verjährungsfristen soll diskutiert werden. Der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, begrüßte den runden Tisch. Eine Zusammenkunft aller gesellschaftlich relevanten Gruppen sei "sehr hilfreich".

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) äußerte sich derweil skeptisch zu der unter anderem von Schavan erhobenen Forderung nach längeren Verjährungsfristen. Sie glaube nicht, dass längere Fristen das Allheilmittel seien, sagte sie im Deutschlandfunk. Schavan hatte sich dagegen am Sonntagabend im ZDF dafür ausgesprochen, die Verjährungsfristen zu verlängern. "Denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass zum Teil erst viele Jahre nach dem Missbrauch gesprochen wird", sagte die Ministerin.

Wenigstens ihre Therapiekosten sollen Opfer auf den Täter abschieben können, meint der Kriminologe Christian Pfeiffer. Er fordert längere Verjährungsfristen zumindest im Zivilrecht. Für Opfer könnten diese bares Geld wert sein. "Der Gesetzgeber geht eigentlich davon aus, dass alte Geschichten irgendwann besser ruhen sollten", erläutert der Hannoveraner Wissenschaftler. Zum einen, weil es mit der Zeit immer schwerer werde, eine Straftat angesichts verblassender Erinnerungen und wegsterbender Zeugen auch zu beweisen. "Und zum anderen gibt es diese Verjährungen, weil die Zeit ja angeblich alle Wunden heilt." Doch gerade bei sexuellem Missbrauch treffe dies nicht zu: "Diese Wunden heilt die Zeit nicht. Manchmal werden die Wunden mit den Jahren sogar noch größer", sagte Pfeiffer. Nach geltendem Strafrecht verjährt sexueller Missbrauch eines Kindes - sofern keine Vergewaltigung vorlag - fünf Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers, im Zivilrecht sind es sogar nur drei Jahre. Längere Fristen gibt es bei schwerem sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigungen: Hier endet die strafrechtliche Verjährung nach zehn bis 20 Jahren. Die Erfahrung zeige aber, dass sich viele erst spät - manchmal erst nach Jahrzehnten - zu einer Anzeige gegen den Vater, Stiefvater, Onkel, Pfarrer oder Lehrer durchringen könnten, berichtet Pfeiffer. Bis dahin sei das Erlebte in vielen Fällen verdrängt worden, wie die aktuellen Vorfälle zeigen. Dies gelte besonders für Männer, "die in den 50er- bis 70er-Jahren missbraucht wurden, als Homosexualität noch stark tabuisiert war", fand Pfeiffers Institut in einer Studie heraus. Bei Frauen sehe es etwas besser aus.

Die Leitung der Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim hat sich indessen für den sexuellen Missbrauch von Schülern in den 70er- und 80er-Jahren öffentlich entschuldigt. "Das Leid können wir nicht mehr gutmachen", sagte die Direktorin des Elite-Internats, Margarita Kaufmann. "Aber wir können sagen, wir sehen und wissen, dass es Leid war." Sie rief zugleich ehemalige Schüler auf, sich wegen möglichen Missbrauchs zu melden. Dafür werde eine Hotline eingerichtet.