22 Milliarden Tonnen der kalten Pracht lasten auf Deutschland. Was passiert, wenn sie schmelzen?

Berlin. Heute soll noch einmal Schnee niedergehen über dem Land, Meteorologen schätzen die Menge auf eine halbe Milliarde Tonnen. Doch es wird nichts daran ändern: Sosehr die weiße Decke zwischen Alpen und Schleswig-Holstein wochenlang die Gemüter bewegte - sie wird schwinden. Die Frage ist nur: Wie lange werden Eis und Schnee dem kommenden Tauwetter trotzen können? Schon grassieren die Wetten: Wie lange wird der zum mannshohen massiven Gletscher zusammengeeiste Schneehaufen des räumwütigen Nachbarn wohl halten? Vier Wochen? Bis Mai? Und was wird aus den 22 Milliarden Tonnen Schnee, die jetzt insgesamt auf dem Land lasten, wenn sie erst schmelzen - die Sintflut, extreme Hochwasser an den einschlägig bekannten Flüssen Oder, Elbe, Rhein?

Die wichtigste Formel für die Antwort darauf lautet: Je mehr die Sonne strahlt, umso länger wird das Abschmelzen dauern. Was sich widersinnig anhört, ist einfache Eisphysik: Je geringer die Luftfeuchtigkeit, umso mehr verdunstet das Eis, statt zu schmelzen, und das kostet viel Energie. Regnet es dagegen, könnte man fast zuschauen, wie die Eishügel in der Stadt verschwinden und endlich wieder Parkplätze frei machen. Bei Sonnenschein wiederum ist die Farbe des Schnees entscheidend. Dreckige, ungepflegte Haufen gehen schneller dahin. In sauberem Weiß gehaltene leben länger, weil sie die Energie aus dem Sonnenlicht nicht verinnerlichen sondern zurückstrahlen. Entscheidend aber bleibt: Wer hier zocken will, sollte beim Wetterbericht nicht auf die Temperatur, sondern auf den Niederschlag achten. März wäre möglich beim Eisberg vorm Nachbarhaus, Mai aber auch, sagen die Freizeit-Buchmacher.

Die amtlichen Hochwasserwächter geben sich dieser Tage eher entspannt. Die Zahlen über die Schneemassen hören sich zwar gewaltig an, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass sie dem halben Inhalt des Bodensees entsprechen. Doch die Menge ist nicht ungewöhnlich: Ein unscheinbarer Landregen über ganz Deutschland, der beispielsweise zehn Millimeter Niederschlag bringt, kann da schon in wenigen Stunden 3,6 Milliarden Tonnen Wasser niedergehen lassen, die schnell in den Bächen und Flüssen verschwinden würden - ein Sechstel immerhin der derzeitigen Schneemassen. Die Schneemengen in den mittleren Lagen der Alpen, des Schwarzwaldes oder der Alb haben in diesem Winter keine exorbitanten Höhen erreicht. Sie aber wären die entscheidende Größe für die Hochwassergefahr, weil sie zunächst mit höherer Anfangsgeschwindigkeit bergab starten und anschließend die Flüsse über einen langen Weg anfüllen, bevor sie sich ins Meer ergießen.

Überdurchschnittlich war in diesem Januar und Februar eher der viele Schnee auch mal im Norden, im Flachland des Nordostens vor allem, der es aber auf unproblematischen Wegen nicht weit hat bis zur Ostsee. Gestern bestand lediglich eine einzige Hochwasserwarnung, für die mittlere Oder, doch vorerst auf niedrigster Stufe.

Für die Hochwasserzentralen allerdings gilt stärker noch als für die Schneeberge in der Stadt: Entscheidend sind die Niederschläge, weil sie nicht nur den Schmelzprozess fördern, sondern gleichzeitig zusätzliches Wasser einbringen.

Ob aber die Sonne scheinen wird oder es regnet, ist für die nächsten Tage eher ungewiss, es sieht nach wechselhaften Wochen aus, mit Tendenz zum Schmuddelwetter mit Regen und Frost. Ungerecht wäre dies nicht. Denn auch wenn der viele liegen gebliebene Schnee uns etwas anderes vorgaukeln mag: Die letzten Wochen waren meteorologisch gesehen eher trocken, die Niederschläge erreichten lediglich 80 Prozent des Durchschnitts. Dennoch lag die ganze Republik - und dies ist das Ungewöhnliche am Winter 2009/2010 - wochenlang unter einer nahezu geschlossenen Schneedecke, die im Durchschnitt sogar zwischen 20 und 30 Zentimeter Höhe hielt.

Ob das Land jetzt "Winter ade" anstimmen darf, ist noch nicht ausgemacht. Die Kälte kann auch noch mal zurückkehren. Ohne Weiteres.