Peiniger Phillip Garrido will Kontakt zu seinem Opfer, das er 18 Jahre gefangen hielt. Die junge Frau lehnt Versuche ab.

Hamburg. 18 Jahre war sie in der Gewalt ihres Entführers, 18 Jahre der Qual, der Erniedrigung, der Unfreiheit. Gerade versucht die Amerikanerin Jaycee Lee Dugard (29) ins Leben zurückzufinden, da will sich ihr Entführer wieder hineindrängen, "aus Liebe" wie die Anwältin von Phillip Garrido (58), Susan Gellman, behauptet. Der Staatsanwalt des Bezirks El Dorado County im US-Bundesstaat Kalifornien, Vern Pierson, reagiert darauf mit Empörung. Er nennt Phillip Garrido einen "Meister der Manipulation" und betont, dass Jaycee Lee Dugard ihm gegenüber ausdrücklich gesagt habe, dass sie in keiner Weise Kontakt zu den Beklagten oder deren Anwälten haben wolle.

Um zu zeigen, in welch brutaler Weise Garrido sein Opfer psychisch beherrschte, veröffentlichte Vern Pierson drei Einträge aus Dugards Tagebuch. Der erste datiert aus dem Jahr 1993, zwei Jahre nach der Entführung. Dugard schreibt: "Ich habe von Phil und Nancy eine Katze bekommen. Sie haben etwas für mich getan, was sonst niemand für mich tun würde, sie haben 200 Dollar ausgegeben, damit ich mein eigenes Kätzchen haben kann." Zehn Jahre später schreibt sie über Garrido: "Ich will ihn nicht verletzen. Wie kann ich ihm also sagen, dass ich frei sein möchte?" Diese Zerrissenheit zwischen Abscheu und Zuneigung steigert sich weiter, denn im Juli 2004 fragt die damals 24-Jährige: "Es fühlt sich an, als würde ich untergehen. Wieso habe ich keine Kontrolle über mein Leben?" Für Pierson zeigen diese Aufzeichnungen deutlich, "dass Garrido sie in der Vergangenheit kontrolliert hat und dass er nun versucht, weiterhin Druck auszuüben".

Für Dugard und ihre Töchter, die sich alle in psychologischer Behandlung befinden, wird die Zeit bis zur Hauptverhandlung schwer. Nicht nur, dass immer neue Details auftauchen, die belegen, dass die Opfer früher hätten entdeckt werden können. Die Familie leidet auch unter akuter Geldnot. Eine kalifornische Kirchengemeinde bezahlt seit vier Monaten die Miete für das Haus. Dugard überlegt nun sogar, an einem Buch über ihre Geschichte mitzuarbeiten.

Seit dem 26. August des vergangenen Jahres, dem Tag ihrer Befreiung, elektrisiert das grausame Schicksal von Jaycee Lee Dugard die ganze Welt. Auf dem Weg zur Schule wurde sie 1991 von Phillip Garrido und dessen Frau Nancy (54) an einer Bushaltestelle in ein Auto gezerrt und in die Stadt Antioch (Kalifornien) gebracht. Dort musste sie im Hinterhof der Garridos leben, unter Planen und Zelten. Während der ersten 18 Monate ihrer Gefangenschaft durfte sie diese Behausung nicht verlassen. In den folgenden vier Jahren war es ihr außerdem nicht erlaubt, sich außerhalb des Hofes aufzuhalten. Mit 13 Jahren wurde sie erstmals schwanger, im August 1994 brachte sie ihre Tochter Angel zur Welt. Das zweite Kind, Starlite, bekam sie im November 1997. Der Vater der beiden ist laut Geburtsurkunden Phillip Garrido. Der sitzt, genau wie seine Frau, seit August 2009 in Untersuchungshaft. Dem Ehepaar werden insgesamt 29 Verbrechen zur Last gelegt, darunter Entführung, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung. Doch die Garridos plädieren auf "nicht schuldig". Mehr noch: Sie sehen sich laut Verteidigung als eine Familie, "die gemeinsame Reisen unternahm, in die Bibliothek ging und besondere Kosenamen füreinander hatte". Zum einen solle es dem Ehepaar Garrido erlaubt werden, sich im Gefängnis zu sehen. Und zum anderen sei es Teil ihrer Aufgabe als Verteidigerin, Zeugen zu kontaktieren. Darum forderte sie die Staatsanwaltschaft auf, den geheimen Aufenthaltsort von Jaycee Lee Dugard und den Töchtern preiszugeben. Zudem solle der Angeklagte Zugang zu Fotos und Videos der Opfer bekommen, da er sie "liebe".

"Die unglückliche Realität ist, dass Miss Doe und ihre Kinder wohl noch nicht realisiert haben, dass sie Gefangene und Opfer waren, weil die Beschuldigten ihre Realität kontrolliert haben." Mit diesen Worten fasst Vern Pierson die Situation von Jaycee Lee Dugard zusammen. Er muss die junge Frau aus rechtlichen Gründen als "Miss Doe" anonymisieren. Ob sie weiter in der Anonymität leben darf, das wird wohl erst die nächste Anhörung am 26. Februar zeigen.