Bewohner und Urlauber können nur aus der Luft versorgt werden. Hubschrauber der Bundeswehr transportieren Menschen und Lebensmittel. “Verhungert wären wir aber nicht.“

Hiddensee. Der Schlitten sieht noch jungfräulich aus. Sie hat ihn gestern erst gekauft. Angelika Schönig möchte zurück auf die Insel. Zurück in ihr Dorf Kloster auf Hiddensee, seit 20 Jahren wohnt sie auf der Insel, die vier Dörfer hat und 1050 Einwohner. Hiddensee ist seit vergangenen Freitag von der Welt abgeschnitten. Das Ostsee-Eis ist zu dick, 20 Zentimeter, die Fähre kommt nicht durch, der Eisbrecher hat es auch nicht geschafft. Jetzt möchte Angelika Schönig endlich rüber. Und falls der Bundeswehr-Hubschrauber sie nicht von Rügen nach Hiddensee mitnimmt, wird sie übers Eis gehen. Dafür der Schlitten. Auf ihn würde sie ihre Taschen und den Koffer legen. Es wäre ein Weg von etwa einer Stunde - ein gefährlicher Weg.

Angelika Schönig sieht das entspannt. Während sie wartet, erzählt sie, dass die Insel auch 1996 eingefroren war, über Wochen. Dass die Bewohner damals mit Autos rübergefahren sind, nach Rügen, zum Einkaufen.

Doch dann kommt der Hubschrauber. Es ist eine von zwei Bundeswehr-Maschinen des Typs "Sea King", die für Hiddensee im Einsatz sind. Es ist eine vorerst einmalige Hilfsaktion der Bundeswehr. Eine Maschine transportiert Menschen, die andere bringt frische Lebensmittel. Bereits am Dienstag hatte ein privater Helikopter Touristen von Hiddensee ans Festland gebracht. Der "Sea King" ist eine große Maschine, die einen fast wegbläst, wenn sie landet. Die Tür geht auf, ein Soldat springt raus, hilft Urlaubern beim Aussteigen. Ihre Stimmung ist gut. Klar seien sie froh, von Hiddensee runter zu sein, sie lachen, irgendwie war es ja auch ein kleines Abenteuer. Ein Mann sagt, er sei nicht froh. "Jetzt muss ich wieder arbeiten."

Auf die Insel rüber wollen nur Angelika Schönig und Jana Wionsek. Die Soldaten helfen ihnen beim Einsteigen, ziehen ihre Taschen an Bord. Jana Wionsek (20) kommt von der Insel Rügen, arbeitet jetzt aber als Zimmermädchen in einem Hotel in Vitte, dem größten Dorf auf Hiddensee. Jetzt muss sie wieder zur Arbeit. Auf Hiddensee sind frische Lebensmittel knapp, das hat sie in den Nachrichten gehört, also hat sie Brot eingepackt. Und Cola und Zitronenbrause.

Anschnallen müssen sich die beiden Frauen nicht, sie sitzen in dem Hubschrauber wie in einem Bus, ganz entspannt. Dann der Start. Tief fliegt er über das zugefrorene Meer. Und nach fünf Minuten, kurz vor der Landung auf dem vereisten Sportplatz des Dorfes Vitte, als die Maschine eine Kurve fliegt und schräg in der Luft steht, schaut Jana Wionsek einen kurzen Moment doch sehr gespannt: Ein kostenloser Flug ist doch ein schöner Ausgleich für all das Warten und die vielen Unannehmlichkeiten.

Auf dem Sportplatz warten ein paar Touristen. Und auch ein paar Hiddenseer, sie reden, machen Fotos. Jana Wionsek stapft die Straße zum Hotel hoch, es ist jetzt Mittag, sicher gibt es viel zu tun. Und Angelika Schönig packt Koffer und Taschen auf den Schlitten und geht nach Hause. Die frischen Lebensmittel werden sofort in den Edeka-Supermarkt gefahren. Ein kleiner Traktor mit einem Schneepflug davor zieht den Anhänger mit der kostbaren Ware. Im Edeka gibt es wieder all das, was in den letzten Tagen knapp geworden war: etwas frisches Brot, auch Eier, Milch, Gemüse und Obst. "Verhungert wären wir eh nicht", sagt eine Angestellte.

Die Regale mit den Konservendosen sind gut gefüllt, aber die Tiefkühlpizza wird langsam knapp. Im Hotel, in dem Jana Wionsek arbeitet, sagt eine Angestellte über die Stimmung unter den Touristen: "Es war immer so eine Mischung." Viele Urlauber fanden es amüsant, spannend, unterhielten sich abends in den Kneipen darüber, auf einer kleinen Insel festzusitzen. Andere waren genervt, wollten zurück.

Am Nachmittag schneit es wieder stärker. Am Sportplatz stehen vier Männer mit Kamera, ein Reporter-Team. Sie reden darüber, dass so ein Hubschraubereinsatz pro Stunde 10 000 Euro koste, hinterher seien pro Stunde Flug acht Stunden Wartung nötig. Sie sind erst seit ein paar Minuten hier, wollen gleich auch wieder weg, mit dem letzten Hubschrauber. Danach sei die Luftbrücke erst mal eingestellt.

Dann landet der Bundeswehr-Helikopter, das Fernsehteam steigt ein. Eine Frau, die die Fernsehleute zum Kuchen eingeladen hatte, möchte unbedingt mal das Innere des Hubschraubers sehen. "Ob ich da mal reingucken darf?" Sie darf. Danach ist sie fröhlich und sagt, dass die Soldaten sehr freundlich gewesen seien. "Ich habe ihnen gesagt: Ihr seid Prachtmenschen!"

Der letzte Urlauber, der an diesem Tag Hiddensee verlässt, ist Hans-Joachim Bernhard. Eine Woche ist er auf der Insel gewesen. Er sagt: "Ich versteh das ganze Theater gar nicht." Er sei schon in Sibirien gewesen - als Pädagoge. Da sei es kälter gewesen, da habe es mehr Schnee gegeben. "Und einmal bin ich bei minus 20 Grad mit einer Tupolew geflogen, die war nicht ganz in Ordnung. Ging auch."

Bernard steigt als Letzter in den Hubschrauber. Für ihn geht es jetzt zurück nach Paderborn. Wahrscheinlich wäre er lieber auf Hiddensee geblieben.

Lesen Sie mehr über die Situation auf Hiddensee unter www.abendblatt.de/winterwetter