Bildungsforscher Professor Olaf Köller erklärt, wie die Lektüre die Lesekompetenz von Schülern fördert.

Dass Kinder Lust am Lesen entwickeln, ist kein Selbstgänger. Viele tun sich schwer damit, freiwillig ein Buch in die Hand zu nehmen. Eine Zeitung dagegen biete für viele Jugendliche einen leichteren Lesezugang, sagt Bildungsexperte Professor Olaf Köller (46) im Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Deswegen hat die Zeitung vor einem Jahr die Bildungsinitiative "Werden Sie Pate!" ins Leben gerufen. Alle Schüler weiterführender Schulen Hamburgs und der Metropolregion sollen täglich Zugang zu einem aktuellen Abendblatt haben.

Was die Lektüre bringt, kann der Direktor der Abteilung Erziehungswissenschaften am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel und Professor für Empirische Bildungsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erklären. Köller beschäftigt sich seit vielen Jahren mit schulischen Lernprozessen und überprüft, ob Schulen ihrem Auftrag gerecht werden, im Unterricht die entsprechenden Kompetenzen bei ihren Schülern aufzubauen.

Hamburger Abendblatt:

Was bringt Schülern Zeitunglesen?

Olaf Köller:

Wer Sachtexte wie Zeitungsartikel begreift, kann am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, versteht, was dort täglich passiert. Und ohne Frage sind Sachtexte die dominierende Textsorte im Berufsleben.

Abendblatt:

Gibt es ein ideales Einstiegsalter, um Zeitung zu lesen?

Köller:

Kinder können, wenn sie lesen gelernt haben, mit einfachen Zeitungstexten beginnen. Wenn man den Kindern Texte gibt, müssen diese natürlich kindgerecht geschrieben sein, hier bieten sich zum Beispiel Kinderseiten in Zeitungen an.

Abendblatt:

Also fängt man eher in der weiterführenden Schule an?

Köller:

Die Themen, die in Tageszeitungen typischerweise behandelt werden, kann man meines Erachtens einsetzen, wenn die Jugendlichen in der achten, neunten Klasse sind.

Mit dem Einsetzen der Pubertät erweitern Jugendliche ihre Interessen. Sie fangen an, sich politisch zu interessieren, und dann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um systematisch mit Zeitungstexten zu arbeiten. Insbesondere dann, wenn Kinder ihr Interessensspektrum erweitern und sich auch für tagesaktuelle Themen interessieren.

Abendblatt:

Laut einer finnischen Studie stärkt Zeitunglesen die Lesekompetenz ganz erheblich. Warum ist das so?

Köller:

Gehen wir von drei Medien aus, die zum Lesen genutzt werden: Das eine ist die Belletristik, die sich in Romanen und Novellen findet. Das Zweite sind Sachtexte in Zeitungen und Zeitschrifte, und das dritte Medium, in dem gelesen wird, ist mittlerweile sehr stark das Internet.

Wir wissen, dass insbesondere bildungsfernere Kinder selten Literatur lesen, weil es zu Hause keine Lesekultur gibt. Für diese Kinder bieten das Internet und Zeitungen interessante Sachtexte, die die Kinder im Alltag lesen können, zumal sie zu diesen Textsorten einfacher Zugang haben.

Abendblatt:

Auch weil sie darin Themen finden, die sie bewegen?

Köller:

Ja, sie finden Themen, die direkt an ihre Erlebenswelt anschließen, und sie lesen Texte, die weniger Ausdauer erfordern als ein langer Roman. Es macht einen Unterschied, ob sie 700 Seiten "Harry Potter" lesen oder auf einer Seite beispielsweise die tragische Geschichte eines Fußballtorwarts.

Abendblatt:

Wie kann man das Lesen bei Jugendlichen forcieren? Was kann man tun, damit die Jugendlichen zur Zeitung, zum Buch greifen?

Köller:

Wenn wir über Maßnahmen sprechen, dann müssen wir vor allem die Gruppe im Auge haben, die eher Aktivitäten jenseits des Lesens entwickelt. Dies sind insbesondere Kinder und Jugendliche aus bildungsferneren Familien, die nicht selten zu den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern zählen.

Wenn man langfristig sichern möchte, dass diese Kinder und Jugendlichen in ausreichendem Maß lesen, bedarf es der intensiven Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhäusern. In der Schule wird gelesen, dagegen können sich die Kinder und Jugendlichen nicht wehren. Aber wenn zu Hause nicht gelesen wird und die Eltern auch nicht mit den Kindern gemeinsam lesen, so liegt es in der Hand der Schule, über Lesenächte oder andere Leseaktivitäten ein Bewusstsein bei den Eltern zu erzeugen, dass Lesen für die Entwicklung ihrer Kinder wichtig ist. Das gelingt nur in der Interaktion von Schule und Eltern.