Das Forschungsprojekt soll alle Lebewesen der Weltmeere erfassen. Immer wieder werden neue Spezies entdeckt.

New York/Hamburg. Wenn Dumbo im Jurassic Park auf einen Weihnachtsbaumwurm und einen Brotkrumenschwamm trifft, dann ist das kein neuer Disney-Film, sondern das Ergebnis einer Volkszählung in den Meeren dieser Welt. Durchgeführt wird ebendieses Unterfangen seit dem Jahr 2000 von mehr als 1000 Meeresbiologen aus etwa 70 Ländern. Die Erstellung des sogenannten Census of Marine Life ist ein internationales Projekt, dessen Schlussbericht im Herbst 2010 vorliegen soll. Das Ergebnis ist im besten Fall eine nahezu vollständige Liste aller Lebewesen der Weltmeere, die in Form einer Enzyklopädie im Internet verfügbar sein wird. Bisher waren etwa 230 000 Arten bekannt, doch die Meeresforscher gehen davon aus, dass es insgesamt mehr als eine Million sein könnten. Diese Vielfalt darzustellen ist das erklärte Ziel des Census-Projekts. Dafür wird alles katalogisiert, von der Bakterie bis zum Walross. Auch die Lebensräume und die Größe der Arten sollen festgehalten werden.

Und bereits ein Jahr vor dem Ende gibt es einen Zwischenstand, der große Ergebnisse erwarten lässt. Bis jetzt wurden allein in der Tiefsee 17 650 Arten verzeichnet, 5600 von ihnen waren bis jetzt unbekannt. Besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass diese Zahlen ausschließlich in den Bereichen ab 200 Metern unter der Wasseroberfläche verzeichnet wurden. Dort, wo kein Tageslicht mehr hinkommt. 5722 dieser nun katalogisierten Spezies leben sogar in Tiefen von 5000 Metern und mehr. Da ist es dann wirklich zappenduster, aber dennoch haben die Lebewesen Möglichkeiten gefunden, sich zu ernähren und zu überleben. Robert Carney von der Universität Louisiana ist an dem Forschungsprojekt beteiligt und erklärt: "Um in der Tiefe zu überleben, müssen die Tiere neue Nahrungsressourcen finden. Und ihre Vielfalt zeigt, wie viele Möglichkeiten es gibt, sich anzupassen."

Einige ernähren sich von gesunkenen Knochen toter Wale, andere von Bakterien. Die Forscher entdecken bei fast jeder Expedition neue Lebensformen. David Billet vom Staatlichen britischen Meeresforschungszentrum bilanziert: "Die Tiefseefauna ist so schlecht erfasst, dass es unnormal ist, auf eine bereits bekannte Art zu treffen." Tatsächlich ist es keine einfache Aufgabe, Licht ins Dunkel der Ozeane zu bringen. Beispielsweise konnten nur sieben der bisher 680 gefundenen Ruderfußkrebse klassifiziert werden. Der Brotkrumenschwamm dagegen fiel durch multiple Persönlichkeiten auf - er war unter 56 verschiedenen Namen in der Literatur zu finden. Das wurde nun korrigiert.

Zu den interessantesten Entdeckungen, insbesondere optisch, gehörte unter anderem der Dumbo-Oktopus, der seinen Namen nicht von Ungefähr hat. Zwei riesige, flossenartige Extremitäten an seinem Kopf dienen nicht nur der Fortbewegung sondern auch der Namensfindung. Die Jurassic-Krabbe dagegen ist äußerlich eher blass, sorgte aber für Aufsehen, da man eigentlich davon ausging, dass sie seit 50 Millionen Jahren ausgestorben sei. Doch sie schwabberte fröhlich im Korallenmeer bei Australien vor sich hin. Ganz ähnlich wie der blaue Weihnachtsbaumwurm, der zwar nicht unbekannt, aber dennoch schön anzusehen ist. Im Gegensatz zu einer Tellergroßen Asselspinne, die den Forschern in den arktischen Meeren über den Weg krabbelte. Für die Experten ist der Census nicht nur zukunftweisend, sondern auch die Gelegenheit, ein Fazit zu ziehen. Jesse H. Ausubel, Mitbegründer des Projekts resümiert mit Blick auf die Evolution: "Manchmal glaube ich, es war ein schrecklicher Fehler, an Land zu kriechen."