Karl-Heinz Kurras, der 1967 Benno Ohnesorg erschoss, wurde zu Bewährungsstrafe verurteilt.

Berlin. Der ältere Herr wirkt gebrechlich. Kraftlos hängen seine Arme vom Körper, sein Blick scheint getrübt. Eine Krankenschwester schiebt den ehemaligen West-Berliner Polizisten und Ex-Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras im Rollstuhl in den Gerichtssaal. Der 81-Jährige macht einen völlig ungefährlichen, harmlosen Eindruck. Ganz anders als die Waffen, die Polizisten in seiner Wohnung fanden.

Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 in West-Berlin den Studenten Benno Ohnesorg erschossen und damit zur Radikalisierung der Studentenbewegung beigetragen hatte, ist am Freitag wegen illegalen Waffenbesitzes bestraft worden. Das Urteil: sechs Monate auf Bewährung. Das Amtsgericht Tiergarten legte zudem eine Bewährungszeit von zwei Jahren fest. Richterin Barbara Odenthal sagte in ihrer Urteilsbegründung, Kurras habe in seiner Wohnung einen gefährlichen Revolver ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt und keine waffenrechtliche Erlaubnis mehr gehabt. Die beschlagnahmte Waffe ist von Smith & Wesson, Kaliber .38, Holzgriff, rostfrei. Sie lag geladen auf dem Schlafzimmerschrank der Familie. Daneben stand ein Karton mit 165 Patronen. Auf der Hutablage im Flur fanden die Beamten außerdem einen Totschläger.

Karl-Heinz Kurras legte im Saal 500 über seinen Rechtsanwalt Mirko Röder ein Geständnis ab. Er habe den Revolver als "Relikt" aus seiner Zeit als Sportschütze aufbewahrt. "Das ist eine große Dummheit gewesen", ließ der Pensionär ausrichten. Er habe nie vorgehabt, die Waffen einzusetzen. Der Revolver sei eine Erinnerung an seine "aktive Zeit als Sportschütze" gewesen. Der 81-Jährige, der schon während seiner Dienstzeit als Waffennarr und begeisterter Sportschütze galt, hatte der Polizei Ende Mai freiwillig seine Waffenerlaubniskarte sowie eine Pistole samt Munition ausgehändigt. Dabei soll er den Beamten versichert haben, es sei die einzige Waffe im Haus. Im Juni kam es zur Durchsuchung.

Ein Polizeibeamter schilderte als Zeuge, dass sich Kurras bei der Durchsuchung seiner Wohnung im Juni sehr renitent verhalten habe. Er werde schlimmer behandelt als der einstige DDR-Partei- und Staatschef Erich Honecker und Stasi-Minister Erich Mielke, fauchte er den Polizisten damals an. Kurras habe zudem behauptet, den Revolver erst kürzlich "zum Selbstschutz" besorgt zu haben, was aufgrund der dicken Staubschicht auf der Waffe unglaubwürdig gewesen sei.

Staatsanwalt Bernhard Mix plädierte für eine einjährige Freiheitsstrafe auf Bewährung. Er begründete dies unter anderem mit der besonderen Gefährlichkeit des Revolvers. Kurras' Verteidiger hatte eine Freiheitsstrafe bereits vor dem Prozess als "außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit" bezeichnet. Er kündigte Revision an.

Ganz andere Kaliber jedoch sind zwei andere Verfahren, die derzeit parallel gegen Kurras laufen. In dem einen, geführt von der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, geht es erneut um den Tod des Studenten Benno Ohnesorg. Kurras war in dieser Sache schon einmal angeklagt und im November 1967 vom Moabiter Schwurgericht freigesprochen worden. Das wiederholte sich im Dezember 1970, nachdem der erste Freispruch vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden war.

Der Fall geriet nun aber in ein ganz anderes Licht, als im Mai dieses Jahres durch einen Aufsatz des Historikers Helmut Müller-Enbergs bekannt wurde, dass Kurras jahrelang in West-Berlin für die Stasi spitzelte und sogar Mitglied der SED war. Denn mit dieser Erkenntnis gab es plötzlich auch die bislang noch nicht abschließend beantwortete Frage, ob Kurras vielleicht sogar im Auftrag der Stasi Ohnesorg erschoss - ihn also ermordet hat.

In dem zweiten Verfahren - hier ist die Bundesanwaltschaft am Wirken - wird Kurras Landesverrat vorgeworfen. Zwar hatte er laut Stasi-Akten offiziell nur bis 1967 als geheimer Mitarbeiter (GM) für das DDR-Ministerium für Staatsicherheit (MfS) gearbeitet. Das wäre dann verjährt. Die Bundesanwälte sehen aber mehrere Gründe, warum die Verjährung nicht eingetreten ist. So soll der im Februar vergangenen Jahres verstorbene MfS-General Gerhard Neiber noch im Dezember 1987 in Sachen GM "Otto Bohl" alias Karl-Heinz Kurras einen sogenannten Sicherungsvorgang angelegt haben. Das bedeutet, Neiber machte für andere Abteilungen des MfS deutlich: Hände weg, der arbeitet für uns und ist uns wichtig. Das ist ein Indiz für Kurras' Weiterbeschäftigung über das Jahr 1967 hinaus.