Die Anklage spricht von Geld als Motiv. Der Verteidiger führt Demütigungen und Schläge im Elternhaus an.

Hamburg/Ulm. "Ich kenne keine harmonischere Familie." Mit diesen Worten beschrieb ein Nachbar die H.s, nachdem Hansjürgen und Else H. sowie ihre Töchter Ann-Christin und Annemarie am Karfreitag dieses Jahres tot in ihrem Haus in Eislingen (Baden-Württemberg) aufgefunden worden waren. Regelrecht hingerichtet durch rund 30 Schüsse. Dass knapp ein halbes Jahr später der Sohn der Familie und dessen bester Freund wegen heimtückischen Mordes auf der Anklagebank sitzen, zeigt, welche Abgründe sich hinter den Kulissen der "Bilderbuchfamilie" aufgetan haben müssen.

Andreas H. ist heute 19 Jahre alt, zur Tatzeit war er 18. Er war es auch, der am 10. April aufgelöst und weinend die Polizei verständigte. Doch schon einen Tag später saß der trauernde Sohn in Untersuchungshaft. Mit ihm sein bester Kumpel, Frederik B. (19), der vor dem Mehrfamilienhaus ebenfalls eine beeindruckende Interpretation des geschockten Unschuldigen gegeben hatte. Der Polizei kamen allerdings schnell Zweifel. Am Haus fehlten Einbruchspuren, die Jungen verstrickten sich in Widersprüche, zudem fand man an ihren Händen Schmauchspuren, die auf das Abfeuern von Pistolen hindeuteten. Im Angesicht dieser Indizien gestand Frederik B.: "Wir haben das gemeinsam gemacht." Andreas H. schwieg und gestand erst später einem Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Geschossen habe er aber nicht.

Die Staatsanwaltschaft schenkt dieser Darstellung keinen Glauben. Sie spricht von einem "gemeinschaftlichen und arbeitsteiligen" Vorgehen. Vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Ulm begann gestern der Prozess gegen die beiden Angeklagten - zu ihrem Schutz unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur neun Journalisten waren zugelassen, was den Verteidiger von Andreas H., Hans Steffan, dazu veranlasste, einen ausnahmslosen Ausschluss auch der Reporter zu verlangen. Diesen Antrag lehnte das Gericht ab.

Am ersten Prozesstag wurde lediglich die Anklage verlesen, in der den beiden Freunden vorgeworfen wird, die Familie von Andreas H. am Abend des 9. April aus Habgier erschossen zu haben. Dabei verwendeten sie laut Staatsanwaltschaft Waffen, die sie im Oktober 2008 aus dem Vereinsheim der Eislinger Schützengilde gestohlen haben sollen, in der sie Mitglieder waren. Den beiden drohen Haftstrafen zwischen zehn Jahren und lebenslänglich, je nachdem, ob sie nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden.

Die Anwälte der Beschuldigten haben Geständnisse ihrer Mandanten angekündigt. Klaus Schulz sagte: "Frederik bleibt bei seinen Angaben und wird ein Geständnis machen." Ähnlich äußerte sich Steffan: "Die Tatvorwürfe werden von meinem Mandanten im Prozess nicht bestritten." Klärungsbedarf gibt es allerdings beim Motiv. Die Anklage geht von Habgier aus. Else H., die Mutter von Andreas, hatte ein Konto in der Schweiz, auf dem sich ein sechsstelliger Betrag befindet. Im Februar 2009 soll sie ihrem Sohn eine Vollmacht für das Konto erteilt haben. Allerdings hätte er die Unterschriften seiner Schwestern gebraucht, um tatsächlich an das Geld zu kommen. Deshalb soll er den Entschluss gefasst haben, seine Familie zu töten, um Alleinerbe zu werden. Frederik B. sollte an dem Geld beteiligt werden. Die Eltern des 19-jährigen B. schließen das allerdings aus. In einem Interview beteuerten sie, ihrem Sohn habe es an nichts gefehlt, weshalb es keinen materiellen Grund für die Tat geben könne.

Auch Verteidiger Hans Steffan vermutet das Motiv in der komplizierten Beziehung seines Mandanten zu dessen autoritärem Vater. Steffan erklärt: "Andreas war der Einzige in der Familie, der sich gegen den Vater auflehnte." Dadurch habe er sich immer isolierter gefühlt. "Andreas hat der Respekt, die Zuneigung und die Solidarität der Familie gefehlt." Es habe sogar Demütigungen und Schläge gegeben. Wie der Sunnyboy Andreas und sein Freund Frederik allerdings unter Mordverdacht geraten konnten, die nach der Tat noch entspannt mit Frederiks Eltern gefrühstückt haben sollen, kann auch diese Theorie nicht erklären.