Inselbewohner fürchten um den Tourismus und den Fischfang. Strände sind kilometerweit verschmutzt.

Hamburg/Antananarivo. Es sollte ein großes Ereignis werden - wie in jedem Jahr. Mit dem "Wal-Festival" wollte man auf der afrikanischen Insel Madagaskar in der Hauptsaison den Touristen etwas Besonderes bieten: das unvergleichliche Naturschauspiel der Walwanderung. Doch nun ist aus dem Fest eine Tragödie geworden. Buckelwale, die auf dem Weg zu ihren Winterquartieren waren, um dort ihre Jungen zu gebären, sind gestrandet. Langsam ersticken sie, weil ihre Atemwege mit Öl und Diesel verstopft sind. Auch die Tierärzte und freiwilligen Helfer können die riesigen Meeressäuger, die bis zu 18 Meter lang und 30 Tonnen schwer werden, nicht vor dem Verenden retten.

Auslöser der Umweltkatastrophe ist der türkische Frachter MS "Gulser Ana". Er ist vor einer Woche drei Kilometer von der Küste entfernt havariert und inzwischen vollständig gesunken. Aus dem Wrack sind neben Phosphaten, von denen das Schiff insgesamt 39 000 Tonnen geladen hatte, auch 383 Kubikmeter Dieseltreibstoff und 7000 Liter mit Fäkalien und Öl verunreinigtes Wasser ausgelaufen.

Ministerpräsident Monja Roindefo sprach von "der größten Umweltkatastrophe dieser Art im Bereich der madagassischen Meeresgewässer." Eine fünfköpfige Kommission der momentanen Übergangsregierung machte sich sofort auf den Weg in die betroffenen Gebiete, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Ein Augenzeuge beschreibt: "Der Strand ist in den letzten Tagen kilometerweit schwarz geworden. Und Fische werden tot angespült." Die Regierung forderte die Bevölkerung auf, keine Meeresfrüchte mehr zu essen und den Fischfang einzustellen. Da man nicht wisse, was der Frachter noch an Stoffen geladen hatte, sei die Gefahr zu groß. Die madagassische Regierung hat bereits angekündigt, den Besitzer der "Gulser Ana", der sich noch nicht zu dem Vorfall geäußert hat, auf Schadenersatz zu verklagen.

Denn durch die Umweltkatastrophe kommt nicht nur der Fischfang zum Erliegen, der eine der Haupteinnahmequellen der Inselbewohner ist. Vielmehr wird auch der Tourismus leiden, wenn die ausgetretenen Schadstoffe die einzigartige Unterwasserwelt sowie die Flora und Fauna in Küstennähe zerstören. Im Cap Sainte Marie Park, einem Naturreservat, befinden sich geschützte Korallenriffe, die nun bedroht sind. Laurent Ampilahy von der Grünen Partei befürchtet zudem, dass auch dort durch das ausgetretene Phosphat das Algenwachstum explosionsartig zunimmt, wie schon andernorts. "Das fragile ökologische Gleichgewicht ist in Gefahr."

Unklar ist dabei weiterhin, wodurch das Schiffsunglück überhaupt ausgelöst wurde. Die 23 Mann starke Besatzung konnte am Mittwoch vergangener Woche mit Schlauchbooten von dem Frachter gerettet werden. Die Rettungskräfte berichteten später von schwarzem Rauch über dem Schiff, weshalb ein Brand als Ursache vermutet wird. Allerdings stand der Frachter angeblich auf einer "Schwarzen Liste". Schiffe, die sich auf dieser Liste befinden, dürfen aufgrund ihrer Mängel keine europäischen Häfen anlaufen. Das geladene Phosphat war für Indien bestimmt.