Natascha Kampusch kommt nicht zur Ruhe. Neue Hinweise sorgen für immer neue Diskussionen über einen zweiten Täter. Das Opfer bestreitet dies.

Wien. Am 23. August 2006 läuft ein Mädchen durch die Straßen von Strasshof in Niederösterreich. Sie ist blass, bittet die Anwohner um Hilfe und sagt, sie heiße Natascha Kampusch. An diesem Nachmittag endet eine acht Jahre andauernde Entführung, doch es beginnt ein Medienspektakel, das auch drei Jahre später verhindert, dass die junge Frau, inzwischen 21 Jahre alt, zur Ruhe kommen kann.

Die handelnden Charaktere dabei sind vielfältig. Allen voran sorgen die Mitglieder der sechsköpfigen Evaluierungskommission, die 2008 vom Innenministerium Österreichs eingesetzt wurde, für Wirbel. Sie sollen die Ungereimtheiten im Kriminalfall "Kampusch" untersuchen.

Die Entführung des Schulmädchens am 2. März 1998 hatte zu der größten Fahndung geführt, die es je in dem Alpenland gegeben hatte. Eine Sonderkommission war im Einsatz und befragte sogar den Täter. Wolfgang Priklopil (* 44), der nach der Flucht von Kampusch Selbstmord beging, war zweimal im Visier der Ermittler. Allerdings konnte er sich damals mit einem fadenscheinigen Alibi herausreden. Zudem wurden Zeugenaussagen nicht ordentlich untersucht oder sogar ganz unterschlagen.

Die Hauptfrage, die zurzeit öffentlich diskutiert wird, lautet allerdings: Gab es noch weitere Täter? Ludwig Adamovich, der Vorsitzende der Evaluierungskommission und ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs, ist sich sicher, dass eine Einzelperson diese Entführung nicht allein ausgeführt haben könne. Ein Verlies inklusive einer 150 Kilo schweren Panzertür ohne Hilfe bauen? Ein strampelndes Mädchen in einen Transporter zerren und gleichzeitig den Wagen lenken? Ludwig Adamovich glaubt nicht daran. Obwohl Natascha Kampusch immer wieder beteuert, sie habe nur einen Täter gekannt, sagt der Richter: "Mit großer Wahrscheinlichkeit sagt Natascha Kampusch nicht alles, was sie weiß." Sollte sie dies allerdings tun, bangen Johann Rzeszut, einstmals Präsident des Obersten Gerichtshofs, und die anderen Mitglieder der Evaluierungskommission, um ihr Leben: "Ich befürchte Lebensgefahr für das Opfer, sollte sich irgendwann andeuten, Natascha Kampusch könnte die Identität eines Mitwissers lüften wollen."

Die Österreicher verfolgen diese immer neuen Äußerungen zu Tathergängen und möglichen Komplizen durchaus interessiert. Sogar die Eltern von Natascha Kampusch beteiligen sich äußerst engagiert am medialen Treiben. Die Mutter, Brigitta Sirny, schrieb 2007 ein Buch über die Jahre ohne ihre Tochter, in dem sie die Ungewissheit schildert und noch ein paar vertrauliche Informationen über das Leben nach der Flucht ausplaudert. Parallel wird dabei immer wieder spekuliert, die Mutter habe etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun. Ihr wird unterstellt, sie habe Priklopil vor der Entführung bereits gekannt.

Ludwig Koch, der Vater von Natascha, macht dagegen immer wieder mit seinen eigenen Nachforschungen zu dem Fall von sich reden. Auch er ist der Meinung, dass es mehrere Täter gegeben haben muss. Zu seiner Tochter hat er allerdings keinen Kontakt.

Natascha selbst hat sich seit einem Jahr weitestgehend aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Nach ihrer Flucht hatte sie sehr souverän mehrere Interviews gegeben und 2008 sogar ihre eigene Talkshow moderiert. Die wiederholten Spekulationen über den Tathergang belasten die junge Frau, die gerade ihren Schulabschluss nachholt, allerdings zunehmend. Gegenüber NDR-Info sagte sie, ihrer Empfindung nach rücke sie in den Augen der Menschen immer stärker von der Opfer- in die Täterrolle, vor allem in Österreich. Außerdem bedauert sie die Einflussnahme von allen Seiten: "Viele Menschen meinen, sie müssten mein Leben für mich in die Hand nehmen."

Dabei vertraut die 21-Jährige nur wenigen Leuten aus ihrem engen Umfeld, Freunde hat sie nach eigener Aussage keine. Die traurige Bilanz der letzten zwei Jahre im Medien- und Kriminalzirkus:"Ich bin zum Einsiedlerkrebs geworden."

Der Bericht der Evaluierungskommission liegt seit 16 Monaten beim Innenministerium vor. Nun soll ein Staatsanwalt wiederholt ermitteln. Damit gehen die Spekulationen in die nächste Runde. Natascha Kampusch wird auch weiter nicht zur Ruhe kommen.