Gut 60 Jahre lang war die Sonnenaktivität ungewöhnlich hoch - jetzt pendelt sie sich vermutlich wieder auf ihr normales Niveau ein.

Katlenburg-Lindau. Die Sonne ist viel zu ruhig für den Geschmack der Astronomen. Denn schon vor Monaten hätte ein neuer Zyklus der Sonnenaktivität mit dunklen Flecken, Protuberanzen und Stürmen beginnen sollen. Doch bisher Fehlanzeige. "Es ist die längste fleckenlose Zeit seit gut hundert Jahren - und wir wissen nicht warum", sagt Sami Solanki, Leiter der Forschungsgruppe Sonne am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau.

Mithilfe von speziellen Sonnenteleskopen auf der Erde, auf Höhenballons und im Weltall versuchen die Forscher unserem Zentralgestirn die letzten Geheimnisse zu entreißen. Im Gegensatz zu den viele Lichtjahre entfernten Sternen liegt die Sonne mit einer Entfernung von "nur" 150 Millionen Kilometern quasi direkt vor unserer kosmischen Haustür. Die Wissenschaftler können deshalb auf der Sonne Phänomene im Detail studieren, die bei den fernen Sternen nicht einmal zu erkennen sind. "Aber oftmals werfen diese Details zugleich auch wieder neue Fragen auf", sagt Solanki.

Die Sonne ist - wie alle Sterne - ein gigantischer Fusionsreaktor: In ihrem Inneren verschmelzen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Energie, die unsere Sonne über Jahrmilliarden hinweg nahezu unverändert leuchten lässt und die Erde zu einem lebensfreundlichen Planeten macht. Doch der ruhige Schein der Sonne ist trügerisch. Es können gewaltige Eruptionen folgen, die Wolken aus elektrisch geladenen Teilchen ins Weltall katapultieren. Am 1. September 1859 traf ein solcher Sonnensturm auf die Erde. Innerhalb weniger Stunden brachen auf der ganzen Welt die damals neuen Telegrafennetze zusammen. Kurzschlüsse führten zu Bränden in Telegrafenstationen. Nachts loderten Nordlichter am Himmel über Rom und Hawaii. Es war bis heute der stärkste Sonnensturm, der seit Beginn der wissenschaftlichen Aufzeichnungen über die Erde hereingebrochen ist.

In der heutigen Zeit wären die Auswirkungen eines solchen großen Sonnensturms noch verheerender. Nicht nur Stromnetze und Flugverkehr könnten lahmgelegt werden. Auch Mobilfunknetze und der über Satelliten laufende interkontinentale Telefonverkehr könnten zusammenbrechen und so das wirtschaftliche Leben lähmen. Umso wichtiger wäre es, solche Ereignisse rechtzeitig vorherzusagen. "Doch das können wir bisher nicht", gesteht Solanki. Unter den Sonnenforschern gibt es nicht einmal Einigkeit darüber, ob der nächste Zyklus nach diesem ungewöhnlich langen Minimum nun besonders stark oder besonders schwach wird. Oder ob die Sonne vielleicht gar in eine lange Phase mit minimaler Aktivität hineinschlittert, wie es sie vor Jahrhunderten schon einmal gab.

Während des Spörer-Minimums von 1400 bis 1510 und des Maunder-Minimums von 1645 bis 1715 schien der Sonnendynamo stillzustehen: Kein Fleck verunzierte das Antlitz des Zentralgestirns. Diese Jahrzehnte fehlender Sonnenaktivität fallen genau in die kältesten Phasen jener Epoche, die als "Kleine Eiszeit" in die Annalen der Historiker einging. In Europa führte das kühle, regnerische Wetter zu Missernten und Hungersnöten. Auf dem Höhepunkt des Spörer-Minimums, im Winter 1422/23, fror sogar die Ostsee zu und erlaubte die Reise per Pferdeschlitten von Deutschland nach Schweden.

Solanki sieht im gegenwärtigen Ausbleiben von Sonnenflecken allerdings kein Vorzeichen einer solchen längeren Phase der Inaktivität, sondern eher eine Rückkehr zur Normalität. "Wir waren etwas verwöhnt", erklärt der Forscher, "denn gut 60 Jahre lang war die Sonnenaktivität ungewöhnlich hoch - höher als jemals zuvor im vergangenen Jahrtausend. Jetzt pendelt sie sich vermutlich wieder auf ihr normales Niveau ein", sagt der Wissenschaftler zuversichtlich.