Die Zeugin hatte keine Chance. Während einer Gerichtsverhandlung am Landgericht in Dresden steht plötzlich der Angeklagte auf und sticht auf sie ein.

Dresden. Die Bluttat geschah ohne Vorwarnung: Mitten in einer Berufungsverhandlung stach am Mittwoch im Landgericht Dresden der Angeklagte mit einem Messer zu. Eine 32-jährige Frau, die als Zeugin aussagen sollte, brach zusammen. Der lebensgefährlich Verletzten konnten auch die alarmierten Notärzte nicht mehr helfen. Die Frau, die nach einem Bericht in der online-Ausgabe der „Bild“-Zeitung aus Ägypten stammen soll, starb noch im Gerichtssaal. Bei der Bluttat wurden weitere Menschen verletzt, darunter auch der Ehemann der Getöteten. „Wir stehen alle unter Schock“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Christian Avenarius. Der Vorfall sei bislang ohne Beispiel an sächsischen Gerichten.

Als mittags der Wagen einer Bestattungsfirma am Gerichtsgebäude vorfuhr, um die Leiche der jungen Frau abzuholen, wurde der sofort festgenommene Täter noch verhört. Beamte des Landeskriminalamtes Sachsen sicherten Spuren. Mit Akribie müsse jetzt erkundet werden, wie die Geschehnisse abliefen, sagte Avenarius. Darüber, in welchem Verhältnis Täter und Opfer zueinander standen, wollte er sich nicht äußern. „Es geht allen Beteiligten sehr nahe“, sagte er. Es sei zwar Alltag, dass man mit Übergriffen rechnen müsse. „Aber so etwas ist uns bislang erspart geblieben.“

Das fast alltägliche Berufungsverfahren um die Höhe einer Geldstrafe wegen Beleidigung, das tödlich endete, hatte am Vormittag begonnen. Der 28 Jahre alte, aus Russland stammende Angeklagte war Ende 2008 verurteilt worden. Auf einem Spielplatz hatte der damals arbeitslose Lagerarbeiter eine Frau beschimpft. Nun sollte neu über die Höhe der Geldstrafe befunden werden. In der Verhandlung dann zückte der Mann plötzlich ein Messer und attackierte die Zeugin vor den Augen der schockierten Richter, Anwälte und Zuhörer.

Bei dem Versuch, den Täter zu überwältigen, löste sich ein Schuss. Zwei Personen wurden verletzt. Wer den Schuss abgegeben hatte und wer verletzt wurde, wurde unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht gesagt. Die Dresdner Rettungsleitstelle war um 10.26 Uhr per Notruf über den Vorfall informiert worden, mehrere Notärzte und Rettungswagen wurden zum Einsatzort beordert.

„Unser Mitgefühl ist bei den Angehörigen“, sagte Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU). Er reagierte mit Bestürzung auf den tragischen Ausgang eines eher banalen Verfahrens. Mit einem solch gewalttätigen Ausbruch des Angeklagten, gegen den nun wegen Totschlags ermittelt wird, hatte niemand gerechnet. Der Mann war nicht in Haft und allein zur Verhandlung gekommen, bei der keine erhöhten Sicherheitsvorkehrungen galten. Wie bei unspektakulären Verfahren dieser Art üblich gab es auch keine Kontrollen beim Zugang zu dem Gerichtssaal, der wenig später zum Schauplatz einer blutigen Tragödie wurde. Für Gerichtssprecherin Bettina Garmann, die als Richterin selbst auch Verfahren führt, der „Super-Gau“.