Temperaturen steigen um fünf Grad. Forscher der “Polarstern“ schlagen Alarm.

Bremerhaven/Seattle. Erstmals ist es einem Forschungsschiff gelungen, während der sommerlichen Eisschmelze die Arktis zu umrunden. Am Freitag machte die "Polarstern" nach zweimonatiger Fahrt in Bremerhaven fest, dem Sitz des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI). Auf ihrer Expedition fanden die 47 Wissenschaftler aus zwölf Nationen ähnlich wenig Eis vor wie 2007, das den Minus-rekord hält. Das bestätigt auch der dritte Arktisbericht des US-amerikanischen Wetter- und Klimazentrums NOAA.

Nach dem Bericht ist die sommerliche Eisdecke in diesem Jahr auf 4,7 Millionen Quadratkilometer zusammengeschmolzen, im Vorjahr waren es 4,3 Millionen Quadratkilometer. Die US-Wissenschaftler nennen dies ein dramatisches Symptom des Klimawandels - in den 50er- bis 70er-Jahren erstreckte sich das Sommereis noch auf etwa sieben Millionen Quadratkilometer. Ebenfalls rekordverdächtig ist die Temperaturerhöhung von fünf Grad im arktischen Herbst 2007, er war so warm wie noch nie zuvor gemessen.

Die Forscher warnen vor einem Dominoeffekt: Durch die stärkere Eisschmelze vergrößert sich die im Vergleich dunkle Meeresoberfläche. Sie nimmt mehr Sonnenwärme auf als das Eis, damit verstärkt sich die Erwärmung. Dadurch bildet sich im folgenden Winter weniger Eis, sodass die Basis vor der sommerlichen Schmelze ebenfalls geringer wird.

Es sei zu befürchten, dass sich der Arktische Ozean weiter erwärmt und zusätzlich Wärme an die Atmosphäre abgeben wird, betont Professorin Karin Lochte, Direktorin des AWI. Möglicherweise könnte eine natürliche kältere Periode die dramatische Eisschmelze in Zukunft eine Zeit lang abbremsen. "Aber wir werden nicht zu dem alten System vor dem Menschen gemachten Klimawandel zurückkehren", so Lochte.

Die "Polarstern"-Expedition profitierte vom Eismangel, denn sie konnte in bislang nicht zugänglichen Seegebieten forschen. Die Wissenschaftler interessieren sich für die geologische Entwicklung des Arktischen Ozeans, aber auch für den Klimawandel. So nahmen sie etliche Wasserproben mit Mikroorganismen, um zu untersuchen, inwieweit die Erwärmung Einfluss auf das Nahrungsnetz der arktischen Meeresbewohner hat.

Bei den größeren Tieren sind bereits Folgen sichtbar: Walrosse drängen sich in einigen Küstengebieten Russlands und Alaskas immer dichter, durch Rangstreitigkeiten werden mehr Tiere getötet. Und während die Zahl der Rentiere seit Mitte der 70er-Jahre konstant gewachsen war, sind zumindest zwei der größten Herden mit mehr als hunderttausend Tieren in jüngster Zeit um ein Viertel geschrumpft. Besonders betroffen sind die Eisbären, denen ihr Lebensraum förmlich unter ihren Pfoten wegschmilzt. Die Forscher auf der "Polarstern" nutzten das zurückweichende Eis. Es ermöglichte dem Schiff, die legendäre Nordwest-Passage in nur vier Tagen zu passieren. Erstbezwinger Roald Amundsen hatte Anfang des 20. Jahrhunderts noch ganze drei Jahre gebraucht. Insgesamt legte die "Polarstern" seit Fahrtbeginn am 12. August immerhin 20 000 Kilometer zurück.

Die Suche nach der Ursache und den Zusammenhängen der Erwärmung sei, so die AWI-Direktorin, für die nächsten Jahre eine der wichtigsten Aufgaben der Polarwissenschaftler. Dass die betagte, 26 Jahre alte "Polarstern" bei ihrer 23. Expedition erstmals die Arktis umrunden konnte, weckt bei Karin Lochte gemischte Gefühle: "Als Abenteurer könnte ich mich freuen, aber als Wissenschaftlerin und Klimaforscherin bin ich entsetzt, dass wir mit so wenig Schwierigkeiten da durchgekommen sind."