Sein Lebenstraum, das Heilige Land zu erobern, blieb unerfüllt. Und sein Freikauf aus österreichischer Haft hätte fast den englischen Etat ruiniert.

Hamburg. Um keinen mittelalterlichen Helden ranken sich so viele Legenden wie um Englands König Richard I., der schon in seinem 20. Lebensjahr mit dem Beinamen Löwenherz geehrt wurde. So soll der normannische Hüne unter anderem Excalibur besessen haben, jenes unschlagbare Wunderschwert des sagenhaften Königs Artus. Auch soll er es einmal zusammen mit nur sechs Kampfgefährten mit 3000 feindlichen Sarazenen aufgenommen und sie in die Flucht geschlagen haben.

Hartnäckig hält sich auch die Legende, er habe im Dritten Kreuzzug 1191 im Kampf um die wichtige Hafenstadt Akko mit einem Arm einen umstürzenden Belagerungsturm aufgehalten, mit dem Schild auf dem anderen die Pfeile der Gegner abgefangen. Und dass Akko den Kreuzrittern schließlich in die Hände fiel, sei nur einem Alleingang des Helden zu verdanken, der mit bloßen Händen einen Gang unter die Festungsmauern grub und in die Stadt eindrang.

Der Nachruhm des "Retters Englands" hält bis heute an. Schon ein Walter Scott wurde 1820 durch seinen Löwenherz-Roman "Ivanhoe" zum Bestseller-Autor. Auch deutsche Dichter wussten das Thema zu schätzen: Ludwig Uhland reimte über den mythischen Helden eine seiner zahlreichen Balladen, wogegen Heinrich Heine ihn im "Romanzero" mit ironischen Versen vom übermenschlichen Sockel herunterholte.

Vor 850 Jahren, am 8. September 1157, wurde Richard in Oxford geboren. Bis heute können sich die Historiker kein eindeutiges Bild des Königs machen, der nur zehn Jahre, von 1189 bis 1199 regierte. Vier Jahre davon verbrachte er im Heiligen Land, danach geriet er in österreichische Gefangenschaft, und die letzten vier Jahre schlug er sich in Frankreich herum, sein Königreich zu sichern, das von Schottland bis zu den Pyrenäen reichte.

Dabei sprach der "Retter Englands" Französisch und verstand die Sprache seiner englischen Untertanen nicht. Zudem war er nicht einmal sechs Monate seines nur 41 Jahre kurzen Lebens auf der Insel. Sein Lebenstraum war das Heilige Land. Er blieb unerfüllt - Jerusalem, das er erobern wollte, hat Richard nie betreten. Seinem nicht minder legendären Gegner al-Malik al-Nasir Salah al-Din Yusuf, den die Christen Saladin nennen, ist er nie begegnet.

Ein Beispiel von Saladins Großmut ist aus der Schlacht um Jaffa überliefert, als Richard mit seinem Pferd, das von arabischen Bogenschützen getroffen worden war, zu Boden stürzte. Saladin schickte prompt einen Reitknecht mit zwei frischen Araberhengsten mitten durchs Kampfgetümmel zu seinem tapferen Gegner.

Richard besaß weniger ritterliche Größe in seinem Löwenherz. Hatte Saladin, wenn er eine Festung genommen hatte, die Gefangenen später in der Regel freigelassen, so machte der Engländer, der als streitsüchtig, jähzornig, spontan und wankelmütig beschrieben wurde, kurzen Prozess. So wie nach seiner Eroberung von Akko. Wenn Saladin ihm das Heilige Kreuz in Jerusalem übergäbe, so ließ der König dem Sultan übermitteln, würde er seine Gefangenen freilassen. Als Saladin nicht gleich antwortete, ließ Richard 2700 muselmanische Krieger mit 300 Frauen und Kindern vor der Stadt zusammentreiben und dann von seinen Leuten mit Lanzen und Schwertern, Säbeln und Steinen niedermetzeln. Den Sultan schien dies nicht weiter zu berühren, ließ er dem Gegner doch kurz darauf einen Jagdfalken zukommen. Worauf sich Richard mit einem andalusischen Rappen revanchierte.

Zwar trübte das Massaker aus heutiger Sicht den Ruhm des Königs, doch bescheinigen ihm einige Biografen wie der Brite John Gillingham große Verdienste um den Aufbau der Verwaltung in England wie in seinen französischen Fürstentümern. Und gegen die Widerstände des normannischen Adels erließ Richard das Verdikt, dass es keine Unterschiede nach Normannen und Angelsachsen in seinem Reich mehr gebe, sondern nur noch ein Volk, das der Engländer.

Um an die Macht zu kommen, führte Richard - zunächst mit seinen beiden Brüdern Heinrich und Gottfried - einen Krieg gegen seinen Vater Heinrich II. Plantagenet. Der warf darauf seine Frau Eleonore von Aquitanien in den Kerker, weil sie für ihren Lieblingssohn Partei ergriffen hatte. Nachdem seine Brüder 1183 und 1186 gestorben waren, gelang es Richard 1189 mit seinem Bruder Johann Ohneland und der Hilfe des französischen Königs Philipp II. - seines späteren Hauptgegners -, den Vater endgültig zu schlagen. In Westminster wurde er fast 32-jährig zum König gekrönt. Statt sich um sein neues Reich zu kümmern, erfüllte er ein frühes Gelübde und zog gen Jerusalem. Auf dem Weg dorthin nahm er im Handstreich Messina und eroberte Zypern, um es später an die Johanniter zu verkaufen.

So tapfer und listenreich sich der König auf den Schlachtfeldern schlug, so hoffnungslos agierte er in der Politik. Die Kunst der Diplomatie war ihm fremd. Er zerstritt sich mit Philipp, der darauf den Kreuzzug abbrach und nach Frankreich zurückkehrte, wo er sich - entgegen den Absprachen mit dem Engländer - über Richards Fürstentümer hermachte.

Besonders verhängnisvoll sollte sich das Verhältnis Richards zu seinem Verbündeten Leopold V. von Österreich entwickeln. Nach dem Sieg von Akko wollte der Wiener einen Flügel der eroberten Burg beziehen, den Richard für sich beanspruchte. Zudem ließ Leopold seine Standarte neben der des Engländers hissen, was ihn nach damaliger Sitte ebenfalls zur Plünderung der erbeuteten Stadt berechtigt hätte. Richard in seinem Zorn ließ die Fahne in die Kloake werfen. Für die Beleidigung sollte sich der Österreicher später bitter rächen.

Auch als sich auf dem Schlachtfeld keine Lösung zur Eroberung Jerusalems fand, bewies Richard diplomatischen Dilettantismus: Er bot allen Ernstes seine Schwester Joanna Saladins Bruder als Gattin an. Nicht nur Christen und Muslime waren empört, auch die "Braut" zeigte sich not amused. Schließlich zog Richard ohne greifbares Ergebnis aus dem Heiligen Land ab. Der Dritte Kreuzzug war nach vier Jahren beendet.

Die Rückfahrt geriet zur Odyssee. Ende Oktober 1192 tobten Herbststürme über dem Mittelmeer, überdies hatte Philipp gegen die Engländer die französischen Häfen sperren lassen. So segelte Richard die Adria hinauf, fiel Piraten in die Hände und ging schließlich, nur von einem Gefährten begleitet und als Kaufmann verkleidet, in Istrien an Land. Ziel war die Burg seines Schwagers, des Welfen Heinrich des Löwen in Bayern. Der kürzere Weg über die Alpen war von Lawinen versperrt, sodass er sich für den Umweg über Wien entschloss, die Stadt seines Erzfeinds Leopold. Der suchte ihn bereits per Steckbrief, in dem er ihm vorwarf, mit Saladin paktiert, mehr noch: im Streit um die künftige Königswürde von Jerusalem den französischen Kandidaten Konrad von Montferrat im Heiligen Land ermordet zu haben.

Am 21. Dezember 1192 wurde Richard in einem Gasthaus in Erdberg, heute im dritten Wiener Bezirk an der Erdberger Straße 42, festgenommen. Eine byzantinische Münze war ihm zum Verhängnis geworden. Mit der ungewöhnlichen Währung hatte er einen Knappen zum Essenskauf geschickt.

Es begann eine ein Jahr, sechs Wochen und drei Tage währende Leidenszeit für den Engländer. Zunächst wurde Richard nach Dürnstein in der Wachau geschafft und dort eingekerkert. Leopold verständigte umgehend Kaiser Heinrich VI., welch kostbarer Vogel ihm da ins Nest geflogen war. Und der Stauferkaiser schickte einen Boten zu Philipp mit der Nachricht, dass der Schwager des Welfen, "der Feind unseres Reiches und Zerstörer des Königreiches", ihm in die Hände gefallen sei. Eigentlich war es gegen das Gesetz, wonach heimkehrende Kreuzfahrer ausdrücklich unter päpstlichem Schutz standen und keinesfalls überfallen oder festgenommen wurden. Papst Coelestin III. belegte Leopold denn auch prompt mit dem Kirchenbann, aber Rom war weit, sehr weit . . .

Der Kaiser wiederum ließ die kostbare Geisel auf die Reichsburg Trifels bei Annweiler im Pfälzerwald verlegen und verhandelte um Lösegeld. Für ihn war Richard nicht nur eine Geldquelle, sondern auch Faustpfand gegen die welfische Fürstenopposition in seinem Reich unter Führung Heinrichs des Löwen.

Derweil saß Richard in einem eher fidelen Gefängnis. Wie englische Zeitgenossen behaupteten, habe er mit den Wachen gewürfelt und sich dadurch ausgezeichnet, dass er sie regelmäßig unter den Tisch trank oder beim Ringkampf zu Boden schmetterte.

Nachdem Heinrich dem Engländer einen Schauprozess mit den bekannten Vorwürfen gemacht hatte - als dessen eigentlicher Sieger Richard dank seiner überragenden Rhetorik hervorging -, wurden als Lösegeld 150 000 Silbermark festgesetzt. Es war eine für die damalige Zeit horrende Summe. Der Wert lässt sich heute schwer vergleichen; er entsprach aber dem Doppelten des jährlichen Staatshaushalts.

Richards Bruder Johann Ohneland verweigerte die Zahlung, weil er länger in England an Richards statt an der Macht bleiben wollte. Seine Mutter aber begann, das Geld aufzutreiben. Die Güter und Herrensitze, die Richard nicht für seinen Kreuzzug verkauft hatte, ließ sie veräußern. Und sie bekam die geforderte Summe zusammen, ein finanzieller Aderlass, von dem sich das Land lange nicht erholen sollte.

Heinrich und Leopold teilten sich das Lösegeld; der eine rüstete sich damit für den Kampf um Sizilien, der andere gründete davon die Münze Österreich, die Wiener Neustadt und finanzierte eine neue Stadtmauer um Wien.

Am 4. Februar 1194 kam Richard frei. Es zog ihn nur kurz ins kalte, nasse England. Dann kümmerte er sich um seine Besitzungen in Aquitanien und holte sich unter anderem seine Festungen Tours und Loches zurück. Bei einem eher unbedeutenden Scharmützel wurde er in Chalus von einem Armbrustbolzen getroffen. Wenige Tage später, am 6. April 1199, starb er in den Armen seiner Mutter an Wundbrand. In der Abtei von Fontevraud an der Loire ließ Eleonore von Aquitanien den Sohn neben seinem Vater bestatten. Sie fand dort später wie auch ihre Schwiegertochter Isabelle von Angoulème, Frau von Johann Ohneland, die letzte Ruhe.

Selbst Richards Ende wurde zur Legende: Der sieche König soll den Armbrustschützen zu sich gerufen und ihn mit den Worten "Wer fähig ist, mich, den König, zu töten, der ist es wert, ein Ritter zu sein" zum Ritter geschlagen haben. Die Wahrheit war brutaler: Richards Mannen machten mit dem Franzosen kurzen Prozess und erschlugen ihn.