Auf Deck bei Sturm, Regen, Sonne, ohne Platz für Privatleben - aber mit Leidenschaft bei der Sache: 120 Freiwillige wechseln sich ab, wenn das Wikinger-Langschiff “Sea Stallion from Glendalough“ von Dänemark nach Irland segelt.

Hamburg. Kojen als Wetterschutz, Kajüten zum Schlafen? Fehlanzeige. Eine Bordküche? Nur zwei Gaskocher. Toiletten? Zwei Plumpsklos. Bei jedem Rockfestival gibt es mehr Komfort. Und dennoch sind 120 Freiwillige fest entschlossen, das Abenteuer zu wagen: Am 1. Juli dieses Jahres werden sie mit einem Wikingerschiff vom dänischen Roskilde aus in die Nordsee segeln und Kurs auf Irland nehmen - mit dem Ziel Dublin.

Die "Sea Stallion from Glendalough", 30 Meter lang und 3,8 Meter breit, ist der größte originalgetreue Nachbau eines Wikingerschiffs der Welt. Vorbild war ein Langschiff vom Typ Skeith. Es war um etwa 1070 zusammen mit vier kleineren Schiffen in einer der Fahrrinnen des Roskilde-Fjords versenkt worden, als Barriere gegen mittelalterliche Angreifer. Erst 1962 hat man diese Schiffe wiederentdeckt und geborgen. Wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen, dass das Langschiff nicht in Dänemark, sondern um 1042 in der Nähe von Dublin gebaut worden war.

Der Nachbau, die "Sea Stallion from Glendalough", ist 2004 nach vierjähriger Arbeit mit Werkzeugen und Materialien der Wikingerzeit vollendet worden. Sie soll nun in umgekehrter Richtung zur alten irischen Heimat des Vorgängers segeln und nach sechs Wochen in Dublin ankommen. Nach einigen Probetörns in der Ostsee wollen die Forscher im Wikingerschiffsmuseum Roskilde herausfinden, wie die "Sea Stallion" den Seegang der Nordsee und die stürmische Irische See bewältigt. "Wir wollen wissen, wie sich die Wikingerschiffe verhielten, wie sie manövrierten und in rauer See reagierten", sagt Tinna Damgårdt-Særensen, Direktorin des Wikingermuseums.

Für die Abenteuerreise haben viele der 120 Frewilligen ihren Jahresurlaub geopfert. Während andere gemütlich "all inclusive" am Strand abhängen, gilt für die neuzeitlichen Wikinger das Gegenteil: fast ohne alles. "Jeder hat nur einen Quadratmeter Platz für sich und die persönlichsten Dinge", sagt Kapitän Carsten Hvid, "da bleibt kein Privatleben."

Zunächst bringen 65 Männer und Frauen das Schiff den Roskilde-Fjord hinauf und müssen sich dabei möglicherweise kräftig in die 30 Riemenpaare legen. Die Route des "Sea Stallion" führt weiter durchs Kattegat Richtung Norden. Bei günstiger Witterung will man die Fahrt um die Spitze Dänemarks ins Skagerrak wagen. Sollten Wind und Wellen nicht mitspielen, bleibt die südlichere Ausweichroute durch den Limfjord.

Dann folgt der vermutlich gefährlichste Teil der Reise: die Nordsee. Bei schlechtem Wetter werden Schiff und Besatzung Schutz an der norwegischen Küste suchen und auf günstigere Bedingungen warten. Die Route führt zu den Orkney-Inseln, wo ein Teil der Crew durch frische Kräfte ersetzt wird. Bis zu den Orkneys ist ein Begleitschiff dabei, das im Notfall die gesamte Crew aufnehmen kann. Auch wenn die "Sea Stallion" dann um das schottische Kap Wrath herum Kurs nach Südwesten nimmt und, zwischen den Inneren und Äußeren Hebriden hindurch, schließlich in die Irische See steuert, wird ein kleineres Motorschiff ständig dabei sein.

Neben Dänen, Iren, Norwegern und einem Neuseeländer gehören auch drei Deutsche zu der Crew. Einer von ihnen ist der Geschichtsstudent Lasse Rahn (21), der mit 16 von Flensburg nach Dänemark zog, dort Abitur machte und Oberstufenlehrer werden will. "Ich arbeite da, wo es Arbeit gibt", lacht er. Genug Arbeit wird er als Vorschoter der "Sea Stallion" sicher haben, wenn sich das 112 Quadratmeter große Segel im Wind wölbt und die Skeith Fahrt aufnimmt.

Elf Knoten - knapp über 20 Stundenkilometer - schaffte das Schiff bisher als Höchstgeschwindigkeit. Kapitän Carsten Hvid hält sogar 16 oder mehr Knoten für möglich. Doch der Wind fehlte bisher auf den Probetörns, die waren vom "Fluch des guten Wetters" verfolgt, sagt Trixi Gülland (37). Die Museologin aus Greifswald, die mit ihrem holländischen Freund Edgar die ganze Strecke nach Dublin mitfährt, soll die Kommandos nötigenfalls vom Dänischen ins Englische übersetzen. Die Fahrt ist ein internationales Abenteuer.

So spartanisch das Wikingerschiff ausgerüstet ist - die Sicherheitseinrichtungen kann Lasse Rahn gar nicht genug betonen. Jeder an Bord wird in einem Trockenanzug stecken, der ihn selbst in eisiger See für mehrere Stunden warm und über Wasser hält. Modernste Navigationstechnik, GPS, Radar, Funk und Echolot sind vorhanden. Dennoch soll versucht werden, so zu navigieren, wie es die Wikinger wohl getan haben. Woran haben sie sich orientiert?

Besonders interessant ist der "Sonnenstein", der aus dem Mineral Cordierit besteht. Er wechselt auch bei schwachem Lichteinfall, etwa bedecktem Himmel, die Farbe und kann mit der Färbung den Stand der Sonne anzeigen. Auch zwei Funde einer halbkreisförmigen Scheibe mit 17 Markierungen, das "solbrädt" oder Sonnenbrett, könnte zur Navigation genutzt worden sein. Zumindest lässt sich mit diesem Sonnenkompass die geografische Breite bestimmen.

Ein "kendt-mand" (Kundiger) an Bord eines Wikingerschiffes orientierte sich auch mithilfe von Wasserfärbung, Gezeiten und Wellengang. Ob diese Techniken aber taugen, auf einer so langen Reise einen genauen Kurs zu setzen, muss sich erst zeigen. Am 14. August soll die "Sea Stallion" in Dublin festmachen - da, wo vor 965 Jahren die Eichen für den Bau des Originalschiffes gefällt wurden. Über 900 Seemeilen werden dann hinter ihr liegen.

Beschleicht einen da nicht doch etwas Bammel? Trixi Gülland und Lasse Rahn weisen das von sich: Angst hätten sie nicht - aber "Respekt" vor den Naturgewalten. Zu einem größeren Problem könnte die Enge an Bord werden. Deshalb soll die "Sea Stallion", wo immer es möglich ist, anlegen, damit die Crew eine Nacht an Land und in bequemeren Zelten verbringen kann. Auf kulinarische Genüsse muss sie allerdings verzichten. Es soll an Bord Haferschleim, Schwarzbrot und Vitaminbrei geben. Auf zwei Gaskochern kann etwas Warmes zubereitet werden. Immerhin schon ein Luxus, den die Wikinger nicht kannten: Sie begnügten sich mit Stockfisch, gesalzenem Fleisch und Fladenbrot. Feuer entfachten sie an Bord während der Fahrt nicht, um das Segel vor Funkenflug zu schützen.

Nur zwei Plumpsklos ohne jeden Komfort stehen der 65-köpfigen Crew zur Verfügung. Das Örtchen hinter dem Mast kann durch ein kleines Zelt vor Blicken geschützt werden. "Von da hat man aber einen herrlichen Blick auf das Wasser querab", sagt Trixi Gülland grinsend.

Nach der Landung in Dublin - das von Wikingern bereits im Jahr 841 n. Chr. als Handelsposten gegründet wurde - wird sich die Crew wieder in alle Winde zerstreuen. Aber Trixi Gülland und Lasse Rahn wollen auch dann wieder mit an Bord sein, wenn es 2008 von Irland zurück nach Dänemark geht.

Wer die Route der "Sea Stallion from Glendalough" am Computer verfolgen, das Logbuch von Kapitän Hvid und die Tagebücher der Mannschaft einsehen möchte: http://www.havhingsten.dk