Medikamententest: Die Sechs Opfer erleiden unvorstellbare Qualen. Angehörige berichten von schweren Deformationen am Kopf. Zwei Patienten liegen im Koma. London

Für Myfanwy Marshall (35), die Lebensgefährtin eines der Londoner Medikamentenopfer, ist nichts mehr so, wie es noch vergangene Woche war. Ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft sind zerplatzt. "Mein Freund sieht jetzt aus wie ein Elefantenmensch", berichtet die Reporterin der britischen BBC weinend. Der 28jährige ist einer von sechs Testpersonen, die das Mittel TGN1412 des deutschen Pharmaunternehmens TeGenero aus Würzburg genommen haben. Vier der Männer waren am Freitag nicht mehr in Lebensgefahr. Zwei liegen im Koma, unter ihnen auch Marshalls Freund und Ryan Wilson (21).

Der behandelnde Arzt im Londoner Northwick Park Hospital, Ganesh Suntharalingam, meint, daß seine Patienten noch einen langen, womöglich jahrelangen Leidensweg vor sich haben. Er diagnostizierte ein multiples Organversagen. Und zur Zeit weiß niemand, ob die Probanden jemals wieder ganz gesund werden. Das Drama der Medikamententests in London hat auf erschreckende Weise mit dem Märchen aufgeräumt, daß solche Studien für die Teilnehmer stets leicht und schnell verdientes Geld bedeuten. Gerade in Großbritannien hatten junge Männer in den vergangenen Jahren diese Tests als Möglichkeit entdeckt, ihre Haushaltskassen aufzubessern. Auch der Freund von Myfanwy Marshall hoffte auf leicht verdientes Geld. Umgerechnet 3000 Euro hatte er von der US-Firma Parexel International kassiert, die im Auftrag der deutschen Firma die Tests vorgenommen hatte. Die Qualen die er erleiden muß, sind kein Geld der Welt wert.

Angehörige berichten von Gestalten, wie man sie sonst eigentlich nur aus Horrorfilmen kennt. Die Gesichtsfarbe zwischen lila und gelb, der Nacken völlig aufgedunsen, die Köpfe bis auf die dreifache Größe geschwollen. Marshall wurde von den Ärzte gewarnt, daß ihr Freund jederzeit sterben könne. Die Engländerin Jo Brown erkannte ihren Schwager Ryan auf der Intensivstation zunächst gar nicht wieder. "Er sieht nicht mehr wie Ryan aus, nicht wie der Ryan, den wir kennen und lieben." Die deformierte Nase sei wie nach einem Unfall über das gesamte Gesicht verteilt. Der Klempnerlehrling ringt ebenfalls ums Überleben.

Die Behandlung der Medikamentenopfer wird dadurch erschwert, daß die Mediziner zwar die Symptome kennen, aber noch keiner so richtig weiß, was vorgefallen ist. Wurden bei der Herstellung des Teststoffs Fehler gemacht? War bei der Verabreichung des Medikaments möglicherweise etwas verunreinigt? Oder haben sich die Tester bei der Dosierung des Mittels, das eigentlich einmal gegen multiple Sklerose, Brustkrebs und rheumatische Arthritis helfen sollte, womöglich geirrt?

Fest steht, daß die katastrophalen Nebenwirkungen innerhalb von wenigen Stunden offensichtlich wurden. Der 23jährige Raste Khan - einer von zwei Placebo-Patienten - berichtete, daß die anderen "wie Dominosteine umgekippt" seien. "Zuerst haben sie ihre Hemden ausgezogen, weil sie über Fieber klagten. Dann haben einige geschrien, daß ihre Köpfe gleich explodieren würden. Es war schrecklich." Der Fernsehtechniker stand ebenfalls Höllenqualen aus - Khan wußte lange nicht, daß er nur ein Placebo bekommen hatte.