Priester im Zwielicht. Wieder wird gegen Geistliche wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt.

München/Paderborn. Immer neue Vorfälle. Der Kirchenskandal um pädophile Priester weitet sich auch in Deutschland immer mehr aus. Gestern wurde bekannt: Gegen zwei Geistliche aus dem Erzbistum Paderborn ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund. Ein 38 Jahre alter Pfarrer aus Holzwickede soll einen 13-jährigen Jungen, Mitglied einer kirchlichen Jugendgruppe, mehrfach missbraucht haben. Der Priester war schon früher unter Verdacht, doch bisher reichten die Beweise nicht aus. Thomas Schäfers vom Generalvikariat in Paderborn: "Der Mann und ein zweiter Priester sind bereits beurlaubt worden. Dafür genügt bei uns ein erhärteter Verdacht." Es sind längst keine Einzelfälle mehr. Ein Pfarrer (55) des Bistums Regensburg, der Religion an einer Schule unterrichtete, wurde von der Seelsorge entbunden, weil er sich einem jungen Schüler sexuell näherte. In Mainz soll ein 47-jähriger Priester eine sexuelle Beziehung zu einem 14-Jährigen gehabt haben. Der Junge ist seit Montag spurlos verschwunden. Lange schien es so, als sei Deutschland beim Thema sexueller Kindesmissbrauch in der Kirche eine Insel der Seligen: Während zu Beginn des Jahres derartige Skandale in den USA, Irland und anderen Ländern die Öffentlichkeit erschütterten, blieb es in Deutschland erstaunlich ruhig. Doch jetzt bröckelt die Mauer des Schweigens. Immer mehr Opfer finden den Mut, ihre Peiniger anzuzeigen. Wenn man die Ergebnisse der US-Untersuchungen auf Deutschland übertrage, dann seien rund 300 der insgesamt 15 000 zölibatär lebenden Priester pädophil oder ephebophil, sagt Psychotherapeut Wunibald Müller. Es sei dabei wichtig, zwischen Pädophilie - der sexuellen Neigung zu Kindern vor der Pubertät - und Ephebophilie - der sexuellen Neigung zu Jugendlichen in und nach der Pubertät - zu unterscheiden, betont Müller. "Bei Pädophilie handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die unheilbar ist; Ephebophilie beruht dagegen meist auf sexueller Unreife und kann deshalb auch überwunden werden." 80 Prozent aller betroffenen Priester seien ephebophil, erklärt der Psychotherapeut. Sie seien in ihrer psychosexuellen Entwicklung auf der Stufe eines 14-Jährigen stehen geblieben. Es gebe sicher einige, die sich aus diesem Grund für das Priestertum entschieden haben, da sie eine "verzerrte Vorstellung vom Zölibat" hätten. Müller: Aber auch in der evangelischen Kirche gebe es Fälle sexuellen Missbrauchs, "das ist nicht ein typisches katholisches Priesterphänomen". Inzwischen haben die sexuellen Übergriffe in den Pfarrhäusern auch den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, alarmiert. Er kündigte an: "Wir werden hart gegen pädophile Geistliche vorgehen. Es genügt nicht, sie einfach an einen anderen Ort zu versetzen. Sie müssen sofort aus dem pastoralen Dienst entfernt werden." (ap)