Live 8: Die Äthiopierin Birhan Woldu erzählt ihre Geschichte von Hunger und Not. Mit Madonna beim London-Konzert.

London. Schweigen senkte sich über die Londoner Wembley-Arena, als die Zuschauer des Live Aid-Konzertes 1985 auf der riesigen Leinwand sahen, wie eine Hand den Kopf eines verhungernden äthiopischen Mädchens streichelte, das nur Momente vom Tod entfernt schien. Ihre vor Erschöpfung halbgeschlossenen Augen und aufgesprungenen Lippen bewegten sich kaum sichtbar. Birhan Woldu, damals vier Jahre alt, gab der Hungersnot ein Gesicht. Die Nonne, die sich um Birhan kümmerte, fürchtete, das Mädchen habe höchstens noch fünfzehn Minuten zu leben. Doch Birhan hielt durch - und wurde von dem Geld gerettet, das nach dem Konzert nach Äthiopien zu fließen begann.

Heute ist Birhan Woldu 24 Jahre alt und eine gesunde Landwirtschaftsstudentin, die, wie Bob Geldof (50) am Wochenende der Welt verkündete, gerade ihr Examen bestanden hat. Birhan wurde von den Live 8-Organisatoren aus ihrem Bergdorf in Nord-Äthiopien nach London zum Konzert eingeflogen, um den Menschen zu zeigen, wofür ihr Geld ausgegeben wurde. "Ich möchte euch zeigen, warum wir diesen langen Marsch zur Gerechtigkeit begonnen haben", rief Geldof, Birhan an seiner Seite. "Birhan ist ein Symbol der Hoffnung. Sie ist der Beweis, daß wir etwas bewegen können."

"Vor diesem Konzert hatte ich noch nie so viele Menschen auf einmal gesehen", sagte Birhan mit Hilfe eines Übersetzers. "Und ich hatte keine Ahnung, daß so viele Menschen die Welt verbessern wollen. Live 8 hat geholfen, mein Leben zu retten. Jetzt bin ich sicher, daß wir die Leben von weiteren Millionen retten können." Birhans Leiden als kleines Mädchen war von dem kanadischen Reporter Brian Stewart gefilmt worden, zur Zeit der Hungersnot einer der wenigen westlichen Korrespondenten in Äthiopien. "Meine Mutter und meine Schwester starben", sagt Birhan. "Ich war so klein, daß ich mich kaum daran erinnern kann, aber ich kann die Trauer in den Augen meines Vaters sehen, wenn er davon spricht."

Es war Birhans Vater, der das Kind mit Hilfe der Krankenschwestern wieder aufpäppelte, als es wider Erwarten diesen Lebenswillen zeigte. Stewart sponsorte ihre Schulausbildung. Sie studierte an einem Landwirtschafts-College, das von der Organisation "African Children's Education Trust" unterstützt wird. Sie möchte ihrem Vater helfen, Tee und Kaffee anzubauen. Die streng orthodoxe Christin lebt im staubigen Dorf Quiha, zwischen den Hügeln und trockenen Flußbetten des Tigray-Tales - dem Zentrum der Hungersnot von 1984. Sie wohnt in einer Steinhütte mit ihrem Vater Menameno, ihrer Stiefmutter und sieben Geschwistern. Die Familie lebt von 120 Euro im Monat, die sie vom Live Aid-Trust bekommen und von dem Essen, das Birhan auf einem Stück Land anbaut. Birhan bat die G8-Politiker, Importzölle für afrikanische Produkte zu streichen. "Der beste Kaffee der Welt kommt aus Äthiopien. Doch er wird wegen der Zölle weltweit nicht in großen Mengen verkauft. Afrika könnte sich zweifellos besser entwickeln, wenn die Schulden für Länder wie Äthiopien gestrichen würden." Vor ihrer London-Reise kannte Birhan Stars wie Madonna (46), die auf der Bühne ihre Hand hielt, nur vom Hörensagen. "Nun weiß ich, wie viel Einfluß diese Musiker haben", sagt sie. Während Birhan Backstage die Stars traf, verlor sie nicht einen Moment den wahren Grund ihrer Reise aus den Augen: "Dieses Event hat mir so viel Hoffnung gegeben. Was für Afrika gut ist, wird auch der Welt guttun."