Vor 100 Jahren beschlossen zwei Männer, die perfektesten Autos zu bauen. Der eine hieß Rolls - Royce der andere. Sie schufen einen Mythos auf Rädern.

Hamburg. 70 000 sehr wohlhabende Bürger dieser Welt werden am kommenden Dienstag um 12.45 Uhr britischer Zeit mit einem Glas Champagner in der Hand "Danke schön" sagen. Und damit die Richtung ihres Champagner-Grußes stimmt, wurde ihnen die Adresse ihrer Danksagung mit penibler geographischer Präzision eingebläut: 53 Grad 28 Minuten 38 Sekunden nördlicher Breite, 2 Grad 14 Minuten 40 Sekunden östlicher Länge.

Es ist die Adresse des Midland- Hotels in der Peter Street zu Manchester. Dieser Treffpunkt ging in die Geschichte ein, denn er ist der Geburtsort des perfektesten und begehrtesten Autos dieser Welt. Dort trafen sich am 4. Mai 1904 zwei Männer, von denen man annehmen durfte, dass sie im klassengestaffelten England niemals zusammenfinden würden: ein armer Müllersohn namens Henry Royce, der mit zehn Jahren bereits ein Waisenkind war und mit elf sein erstes Geld als Zeitungsjunge verdiente, sowie ein Aristokraten-Sohn namens Charles Rolls, der in Eton und Cambridge erzogen wurde, doch nur eines im Sinn hatte: sich so schnell wie möglich von A nach B zu bewegen. Er errang 1903 den Geschwindigkeits-Weltrekord für Automobile: 152 Stundenkilometer. Rolls war ein Abenteurer.

Was sie am 4. Mai 1904 zusammenführte und ihre beiden Namen zu einem der begehrtesten Markenartikel dieser Welt machte: ihr Hang zur Perfektion. Aus dem Zeitungsjungen Henry Royce war ein Elektro-Ingenieur geworden, der in seiner eigenen Fabrik in Manchester Lampen und Türklingeln produzierte. Die erste direkte Begegnung mit einem Auto hatte er im Jahre 1903. Er brachte sich aus Paris einen Decauville mit. Es war ein fahrendes Ärgernis. Der Perfektionist Royce war so frustriert, dass er wenig später begann, selbst Autos zu bauen. Die ersten drei waren Anfang 1904 fertig: 2-Zylinder-Motor, 10 PS, Preis 395 Pfund.

Charles Rolls, damals 26, war von der ersten Minute an von Royce begeistert: "Dies ist der Mann, den ich seit Jahren gesucht habe." Überzeugt davon hat ihn ein Satz des damals 41-jährigen Henry Royce: "Nimm das Beste, was es gibt, und mach es besser. Und wenn es das Beste nicht gibt, erfinde es."

Er wurde zur Erfolgsformel der Legende namens Rolls-Royce. 1906 setzte Henry Rolls einen Wagen auf die Straße, der all jene Superlative kreierte, die Rolls-Royce fortan begleiteten: den "Silver Ghost". Er war das schnellste, schönste, leiseste und teuerste Auto seiner Zeit. Charles Rolls brachte ihn als Erster in die Schlagzeilen, als er noch im selben Jahr mit dem Wagen das Autorennen um die Tourist-Trophy auf der Isle of Man mit einem Vorsprung von 27 Minuten gewann. Und Henry Royce demonstrierte die Qualität seines Autos mit einem eindrucksvollen Test: Er stellte bei laufendem Motor eine Silbermünze auf den Kühler, und sie fiel nicht um.

Rolls-Royce wurde über Nacht zu einem Luxus-Artikel, aber kein Objekt des Klassenkampfes jener Tage. So schickte Wladimir Lenin 1917 den "Silver Ghost" des letzten russischen Zaren Nikolaus II. nach dessen Sturz keineswegs als Symbol des Kapitalismus in den Schrott, sondern kaufte sich noch einen zweiten dazu. Und auch später musste für Leonid Breschnew der Dienstwagen ein Rolls-Royce sein.

Henry Royce wusste, dass er sich mit seinem exklusiven Konzept im beginnenden Industrie-Zeitalter zum Außenseiter machte. Genau das aber sollten seine Autos sein. Mehr noch: Er wollte aus ihnen angesichts des zunehmenden Materialismus außerirdische Wesen machen. Die unfassbaren Namen, die man bei Rolls-Royce den neuen Modellen gab, belegen es. Denn dem "Silver Ghost" folgte das "Phantom", der "Silver Spirit", der "Silver Wraith" (Silber-Gespenst) und der "Silver Cloud" (Silber-Wolke). Das nächste Modell sollte eigentlich "Silver Mist" (Silber-Dunst) heißen. Doch als man erfuhr, was das Wort "Mist" im Deutschen bedeutet, entschied man sich für den Namen "Silver Shadow" (Silber-Schatten), dessen Produktion im Jahre 1965 begann.

So unterschiedlich die einzelnen Rolls-Royce-Modelle der letzten 100 Jahre sein mögen - zwei Markenzeichen blieben unverändert: die Kühlerfront mit ihren handgefertigten 22 Gitterstäben aus Edelstahl und die gebückt darauf hockende versilberte "Spirit of Ecstasy", die seit 1911 alle Rolls-Royce-Wagen ziert.

Ziert? Es gab nicht wenige Leute, die sie als Kitsch empfanden. Und der erste unter diesen Kritikern war Henry Royce. Seine Mitarbeiter hatten diese Dame auf die Kühler seiner Autos gehoben, als er für Monate krank im Bett lag. Und Charles Rolls konnte seinem Kumpan bei diesem Kitsch-Gefecht nicht mehr helfen. Er war 1910 mit seinem Flugzeug bei der Luftfahrtschau in Bournemouth abgestürzt. Und so gab es fortan in der Welt nur noch einen einzigen Rolls-Royce ohne "Spirit of Ecstasy" auf dem Kühler. Es war der des Firmenchefs Henry Royce, der sich bis zu seinem Tod 1933 weigerte, die Dame zu umarmen.

1946 wechselten die Autobauer von Rolls-Royce von Derby nach Crewe. Inzwischen waren im Kampf um die Brieftaschen der Neureichen sowieso nicht mehr Edelmarken wie Lamborghini oder Ferrari die schärfsten Konkurrenten, sondern die Bauer von Luxusyachten. Und während auf der Weltbühne das britische Empire auseinander fiel, erklärte Fritz Feller, einst Chef-Ingenieur von Rolls-Royce: "Wir bauen hier in Crewe neue Empire auf vier Rädern."

Die besten Kunden dieser neuen "Empire" wohnten in Amerika und Arabien. Dort gab es Ölscheichs, die mit einem Schlag zehn Rolls-Royce kauften. "Wahrscheinlich für jede Frau einen", lächelte man in Crewe. Der gleiche Legenden-Erzähler berichtete, dass die griechischen Milliardäre Onassis und Niarchos sich einst zum Mittagessen in einem New Yorker Restaurant trafen. Auf dem Heimweg in ihre Villen fuhren sie an einem Rolls-Royce-Laden vorbei. Sie stiegen aus und kauften sich kurz entschlossen je einen "Corniche". Als Niarchos sein Scheckbuch zog, klopfte Onassis ihm auf die Finger: "Ich zahle beide Wagen. Du hast schließlich vorhin unser Essen bezahlt."

Der Flirt der Rolls-Royce-Leute mit den Nobelkunden dieser Welt endete nach fast 70 Jahren jäh, als das krisen- und streikgeschüttelte Großbritannien zum "kranken Mann Europas" erklärt wurde. Die langwierige und teure Entwicklung eines neuen Flugzeug-Düsenmotors sandte Rolls-Royce 1970 in den Bankrott.

Der Schock unter den Briten war ungeheuer. "Es war", schrieb Rolls-Royce-Historiker Anthony Bird, "als sei enthüllt worden, dass Königin Victoria ihr Windsor Castle als Freudenhaus geführt habe - mit Prinz Albert als Zuhälter." London sprang mit Staatsgeld ein und trennte die Flugzeugmotoren-Bauer von den Autokünstlern in Crewe, die schließlich von der Firma Vickers aufgekauft wurden.

Es war keine glückliche Ehe. 1998 stellte Vickers den Auto-Zweig von Rolls-Royce zum Verkauf. Volkswagen griff zu, erwarb jedoch nur die Produktionsrechte für Bentley-Wagen, die Rolls-Royce bereits 1931 aufgekauft hatte. Die Rolls-Royce-Markenzeichen gingen nach München zu BMW. Dort gab man Rolls-Royce als Erstes ein neues Zuhause in Goodwood in West Sussex. Die ersten Tausend Wagen vom Typ "Phantom" sind bereits auf dem Markt. Ihr Preis: 374 912 Euro. So teuer wie ein Haus. Dennoch ist die Nachfrage enorm.

Ein neues "Empire auf vier Rädern"? Kaum, denn alle essenziellen Teile kommen aus Deutschland. Britisch sind eigentlich nur noch die 395 Arbeiter, die sie in Goodwood zusammenbauen und mit Holz- und Ledereinlagen versehen. Diese 395 britischen Kunst-Handwerker sehen den Besitzer-Wechsel ihres Autoklassikers gelassen: "A Rolls is a Rolls is a Rolls."

Am Dienstag schauen sie zusammen mit jenen 70 000 Menschen in aller Welt, die heute noch ein fahrbares Modell der insgesamt 110 000 handgefertigten Rolls-Royce besitzen, in Richtung Midland-Hotel in Manchester und sagen "Danke schön".