Bruder Pietro errichtete ganz allein in Jahrzehnten ein Kloster in der Höllen-Schlucht des Apennin-Gebirges.

Montemonaco. Aus Sicht der italienischen Polizei beginnt der Fall Pater Pietro im Frühjahr 1954 mit seinem Verschwinden. Der Abt des Franziskanerklosters bei Ascoli Piceno an der Adria berichtete, dass ein Pater nicht in das Konvent zurückgekehrt war. Zuletzt habe man ihn in den Bergen bei der Gola del Infernaccio, der Höllen-Schlucht mitten im Apennin-Gebirge, gesehen, in einer Gegend also, die für Steinschlag und Lawinen berüchtigt ist.

Eine erste oberflächliche Suchaktion brachte nichts. Die Bergwacht entdeckte nicht die geringste Spur des Mönchs. Aus der Liste der Pater, die ein Anrecht auf staatliche Unterstützung haben, wurde Bruder Pietro gestrichen. Er besaß keine gültigen Papiere. Sein Name verlängerte die Liste der Verschollenen.

Doch 17 Jahre später, im Sommer 1971, berichtete plötzlich ein Bergsteiger, er habe den Mönch gesehen. Der Augenzeugenbericht ließ dem zuständigen Bischof von Ascoli Piceno das Blut in den Adern gefrieren. Der Bergsteiger, Carlo Sabatini, berichtete damals: "Der Pater hatte sehr lange, verfilzte Haare und einen schmutzigen Bart. Er lebt in der Kälte des Hochgebirges in einer Art improvisierten Hütte, die nur aus wenigen Ästen und einer zerrissenen Plastikplane besteht.

Als ich ihn traf, zeigte er mir, wovon er sich ernährte: stark verschimmeltes Brot, Kräuter und Baumrinde. Er bricht mit selbst gebastelten Werkzeugen Steine aus den Felsen. Er sagte mir, er wolle ganz allein, ohne einen Pfennig Geld und Maschinen, eine Klosterruine in den Bergen wieder aufbauen.

Um Wasser an seine Baustelle zu bringen, mussten seine improvisierten Wasserleitungen Schluchten überqueren. Er stürzte bei den Arbeiten mehrfach ab, erlitt Knochenbrüche, die er in der Hütte allein mit Kräutern auskurierte. Er zeigte mir die schweren Verletzungen. Ich fürchte, der Mann ist stark verwirrt."

Der Bischof entsandte auf der Stelle einen Inspektor, der den Mönch aufsuchen und unverzüglich in eine psychiatrische Abteilung einer Klinik bringen sollte, die einem Franziskanerkloster angegliedert ist. Doch der Inspektor kam mit einem erstaunlichen Ergebnis in den Bischöflichen Palast nach Ascoli Piceno zurück. "Nach reiflicher Überlegung und sorgsamer Prüfung meines Gewissens, nach zahlreichen Gesprächen mit Pater Pietro in seiner Hütte im Hochgebirge, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass der Bruder kein Verrückter, sondern ein Heiliger ist. Ich bat ihn um seinen Segen und hoffe, dass die Kirche ihn dort belässt, wo er ist, ganz nah bei Gott. Ich fürchte, unsere Zeit ist verrückt, so dass uns das Beispiel eines Mannes wie Pater Pietro so seltsam vorkommt", schrieb der Beauftragte des Bischofs.

Die Polizei nahm lediglich die Meldung zur Kenntnis, dass der Pater wieder aufgetaucht war. Da er keinerlei finanzielle Ansprüche stellte, keinen Ausweis und auch keinen Führerschein wollte, offiziell obdachlos war, vergaß man ihn einfach. Alle Versuche des Sozialamtes, Pater Pietro dazu zu bewegen, in die staatlichen Pflichtversicherungen einzutreten und die nötigen Dokumente zu unterschreiben, scheiterten schon daran, dass kein Mitarbeiter des Amtes für die Sozialversicherung den Weg in das Hochgebirge auf sich nehmen wollte. Der Bischof versuchte den Pater und geweihten Priester dazu zu bringen, den unwirtlichen Ort zu verlassen. Ohne Erfolg. Eine Untersuchung des Bistums Ascoli Piceno im Jahr 1988 ergab, dass der Pater noch am Leben war und Kontakt mit der Familie D'Agostino im Dorf Montemonaco hatte, das etwa 20 Kilometer von der Einsiedelei entfernt liegt.

Familienvater Franco D'Agostino schrieb an das Bistum. "Ich begreife nicht, dass er dort oben nicht verhungert! Der Aufstieg ist beschwerlich, und ich bringe Pater Pietro jedes Mal was zu essen mit, und jedes Mal ist sein Vorratsschrank leer. Er scheint sich darüber aber keine Sorgen zu machen. Wenn Schnee fällt, ist er monatelang abgeschnitten. Ich weiß nicht, wie er das durchhält."

Im Sommer des Jahres 2003 erhielt das Bistum Ascoli Piceno Post: einen Brief von Pater Pietro, zugestellt durch einen Boten, der den Mönch besucht hatte. In dem Brief stand nur ein Satz: "Das Kloster ist fertig."

Der Bischof von Ascoli Piceno wollte diesmal selbst nachsehen und ließ sich mit einem Helikopter ins Gebirge fliegen. Er schrieb nach dem Besuch einen Satz als Bericht an den Vatikan. "Was ich gesehen habe, ist ein Wunder."

Das sprach sich herum. Für das Dorf Montemonaco in Mittelitalien mit seinen 752 Einwohnern hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Mensch interessiert. Von den Badeorten an der Adria braucht man mehr als zwei Stunden mit dem Auto, um bis nach Montemonaco zu fahren, in ein Dorf, in dem es nichts zu sehen gibt. Doch plötzlich tauchten Besucher aus allen Teilen der Welt in dem Dorf auf, aus den USA und aus Südamerika, aus Australien und auch aus Deutschland, und sie fragten nach dem richtigen Weg zur Gola del Infernaccio-Schlucht, sie wollten einmal im Leben einen echten Heiligen sehen oder zumindest einen Mann, der in diesem Ruf stand: Pater Pietro.

Die Infernaccio-Schlucht liegt mitten im Apennin-Gebirge. Eine

Schotterstraße führt bis in den Wald, der die Schlucht umgibt, dann endet der Weg abrupt an einem Gebirgsbach. Wer weitergehen will, muss das Auto stehen lassen. Ein Pfad windet sich durch den Wald. Überall warnen Schilder davor weiterzugehen, im Sommer muss man mit Steinschlag rechnen, im Winter mit Lawinen.

Überall sieht man Spuren der Verwüstung: Fichten, die von Felsen oder Schneemassen wie Streichhölzer geknickt wurden und auf dem Boden verfaulen. Der Pfad verschwindet irgendwann im Wald, jetzt kann man sich nur noch an geknickten Ästen orientieren. Ab und zu tauchen am Weg große Löcher in den Felswänden auf: Man sieht, wie per Hand in jahrzehntelanger Arbeit Steinblock um Steinblock aus dem Felsen getrennt worden ist.

Nach vier Stunden steilen Aufstiegs steht der Besucher plötzlich vor dem Gebäude eines Klosters. Die Reste der Plastikplane, unter der der Pater geschlafen hat, sind noch da, die Wasserleitung, deren Bau ihn Knochenbrüche und sieben Jahre Arbeit gekostet hat, funktioniert immer noch. Besucher empfängt er gern, und seine Botschaft an sie ist einfach: "Natürlich hätte ich dieses große Gebäude niemals allein bauen können. Das übersteigt die Kräfte eines Menschen. Gott hat es gewollt. Gott hat mir diesen Lebenstraum gegeben: ,Bau mir dort, wo es unmöglich ist, ein Haus unter unmöglichen Bedingungen, und ich werde dich erhalten, deine Krankheiten heilen und dir zu essen geben, auch wenn du denkst, du musst verhungern.'

Es kommt nicht darauf an, Geld zu haben und Macht zu besitzen, um etwas zu erreichen.

,Denn wenn ich alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnisse hätte und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts (1. Korintherbrief, Vers 13, 2).'"