Tod im Himalaja: Ließ er seinen Bruder im Stich? Bergsteiger verklagt seine Ex-Kameraden.

München. Es ist eine Geschichte von Ehre und Ehrgeiz, von brüchiger Bergkameradschaft und zerbrochener Freundschaft. Und es geht um die brisante Frage: Was geschah wirklich am 27. und 28. Juni 1970 am Nanga Parbat? Jenen Tagen, an denen auf diesem neunthöchsten Gipfel der Erde (8126 Meter) der damals 24 Jahre alte Günther Messner, der jüngere Bruder von Reinhold Messner (58), ums Leben kam. Zum 50. Jahrestag der Erstbesteigung durch Hermann Buhl am 3. Juli 1953, eskaliert ein Streit unter den einstigen Bergkameraden um das Drama von 1970. Weggefährten werfen Messner vor, den kranken Bruder im Stich gelassen und seinem Ehrgeiz geopfert zu haben. Auf ihre Vorwürfe antwortet Messner in seinem neuen Buch "Die weiße Einsamkeit" (Malik Verlag, 22,90 Euro) - und zieht sogar gegen seine Ex-Kameraden Max von Kienlin (68) und Hans Saler (55) vor Gericht, um gegen deren Bücher zu klagen. Messner sieht eine "Rufmordkampagne" gegen sich ("Ich weiß nicht, woher dieser Hass kommt!"). Juni 1970: Einem 25 Jahre alten Hilfslehrer aus Südtirol gelingt nicht nur die Erstbesteigung des Nanga Parbat über die als unbezwingbar geltende südliche Rupal-Flanke, sondern auch die "Überschreitung" des Gipfels durch den Abstieg über die gegenüberliegende Diamir-Wand. Eine bergsteigerische Sensation - und der Beginn des Weltruhms von Reinhold Messner. Auf die Frage, wie sein Bruder dort starb, galt bis vor einem Jahr folgende Version: Reinhold brach in der Nacht zum 27. Juni im Alleingang zum Gipfelsturm auf. Nicht ahnend, dass ihm sein Bruder nachstieg. Am frühen Abend standen beide auf dem Gipfel. Beim Abstieg aber habe Günther deutliche Anzeichen von Erschöpfung und Höhenkrankheit gezeigt. Nach einem Notbiwak habe sich Messner als letztmögliche Rettung für Günther entschieden, den gemeinsamen Abstieg über die Diamirseite zu wagen. Dort habe er den Bruder aber aus den Augen verloren. Für diese Version gibt es nur einen Zeugen: Reinhold Messner. Seine Aussage wird in zwei Büchern von anderen Teilnehmern der Expedition in Frage gestellt: in "Die Überschreitung" von Max-Engelhardt von Kienlin (Herbig Verlag, 22,90 Euro) und in "Zwischen Licht und Schatten" (A1 Verlag, 17,40 Euro) des Extrembergsteigers Hans Saler, der heute in Chile lebt. Beide glauben: Günther sei schon beim Abstieg vom Gipfel gestorben - oder Reinhold habe ihn krank zurückgelassen. Zu einer Schlüsselszene der Tragödie war es am Vormittag des 28. Juni 1970 gekommen: Reinhold war auf der Nordseite wieder bis zur so genannten "Merkl-Scharte" hochgestiegen, von wo man Einsicht in die Rupalflanke hat. Dort rief er - nach eigener Aussage - drei Stunden lang verzweifelt um Hilfe. Als dann die nachsteigenden Kletterer Felix Kuen und Peter Scholz auftauchten, kam es sogar zu Blick- und Rufkontakt in nur 80 bis 100 Meter Entfernung. Seltsam: Reinhold bat nicht um Hilfe. Kein Hinweis auf den kranken Bruder. Kein Wort von einem Seil, das sie benötigten. Stattdessen auf die Frage von Kuen ("Ist alles in Ordnung?") Messners knappe Antwort: "Ja! Alles in Ordnung." Ein Abschiedsgruß - und Reinhold verschwand. In seinem Buch schildert Messner die Begegnung aus eigener Sicht. Sein "Ja! Alles in Ordnung" sei reine Fürsorge gewesen. Messner: "Das Gelände zwischen Merkl-Rinne und Merkl-Scharte ist nicht passierbar. Erst als mir unsere Notlage klar wird - Günther ist höhenkrank - kommt Verzweiflung auf. Wenn Peter und Felix jetzt ihr Leben riskieren, um zu helfen, stürzen sie ab. Das Risiko, uns entgegenzusteigen, ist also zu hoch." Warum erst jetzt die Vorwürfe? Kienlin: "Wir haben uns damals aus Bergkameradschaft auf Reinholds Seite gestellt und 32 Jahre geschwiegen. Der Tod seines Bruders war für ihn tragisch genug. Erst als er in seinen Büchern die Mannschaft immer mehr herabsetzte und uns im letzten Jahr sogar unterlassene Hilfeleistung unterstellen ließ, mussten die Dinge auf den Tisch."