Gericht bestätigt nach 32 Jahren die Version der Mutter, die wegen Mordes verurteilt worden war. Ihr Kind wurde von einem Dingo verschleppt.

Sydney. Es ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle in der Geschichte Australiens. Das Drama inspirierte sogar Hollywood: 1988 kam "A Cry in the Dark" ("Ein Schrei in der Dunkelheit") mit Meryl Streep in die Kinos. 1980 verschwand Baby Azaria Chamberlain, gerade neun Monate alt, von einem Campingplatz im australischen Outback. Es gab zwei Versionen: Azaria wurde entweder von halbwilden Hunden, Dingos, gefressen - wie die Eltern beteuerten. Oder ermordet von Mutter Lindy - wie die Öffentlichkeit glaubte. Sie wurde 1982 schließlich wegen Mordes verurteilt, dann begnadigt.

Gestern - 32 Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden des Babys - hat ein Gericht in Darwin endlich einen juristischen Schlussstrich unter den Fall gezogen. Untersuchungsrichterin Elizabeth Morris entschied, dass Azaria starb, weil sie von einem Dingo verschleppt wurde. Diese Todesursache steht nun auch auf dem Totenschein. Es sei auch möglich, dass ein solcher Dingo dem Kind die Kleider vom Körper entfernt habe. Damit sei davon auszugehen, dass das Tier den Tod des Babys verursacht habe.

+++ Vor 32 Jahren: Baby wurde von Dingo verschleppt +++

Nach der Urteilsverkündung brach die mittlerweile geschiedene und wiederverheiratete Lindy Chamberlain-Creighton in Tränen aus und umarmte Verwandte und Unterstützer. "Wir sind erleichtert und erfreut, dass diese ewige Geschichte nun ein Ende hat." Der sichtlich gerührte Vater Michael spricht von einem "furchterregenden Kampf", der viel zu lange gedauert habe. "Aber jetzt ist es Zeit für Heilung und eine Chance, dass die Seele unserer Tochter Ruhe findet."

Der Fall von Baby Azaria hat die Dramatik eines Horrorfilms, Gerüchte über Hexerei und Blutopfer machten damals die Runde. Pastor Michael Chamberlain von der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten zeltet mit Frau und Kindern (zur Familie gehören noch Aidan, 6, und Reagan, 4) im August 1980 in Ayers Rock im Uluru-Nationalpark. Die Chamberlains sitzen mit anderen Urlaubern am Lagerfeuer, dann plötzlich helle Aufregung: Das Baby ist weg, wie vom Erdboden verschwunden. "Dingos", sagt Lindy sofort, "sie haben mein Baby verschleppt."

+++ Priester: Vermisste lebt bei den Aborigines +++

Diese Theorie stößt auf Skepsis, und Lindy Chamberlain will so gar nicht in das Bild der verzweifelten Mutter passen. Sie schluchzt sich nicht in die Herzen der Fernsehzuschauer. Sie ist gefasst. Sie verweist auf ihren Glauben. Sie beharrt auf ihrer Geschichte. Und dann tauchen bizarre Gerüchte auf: Die Chamberlains hingen einem Kult an, der Kinderopfer verlange. Lindy habe das Baby immer schwarz gekleidet. Der Name Azaria bedeute "Opfer in der Wildnis". "Ich habe beschlossen, mich auf die schönen Erinnerungen zu konzentrieren, nicht den Schmerz", schreibt Lindy später als Erklärung auf ihrer Webseite. "Ich will mich nicht elend fühlen." Zu den Gerüchten heißt es: "Azaria heißt ,von Gott gesegnet'." Azarias blutige Babykleidung wird gefunden, wie mit einer Schere zerschnitten und laut Anklage ohne eine Spur von Dingo-Speichel. Lindy sagt, das Baby habe eine Jacke angehabt. Man glaubt ihr nicht.

Lindy Chamberlain wird 1982 verurteilt, ihr Mann wegen Beihilfe. Sie habe das Kind aus dem Zelt geholt, im Auto mit einer Schere erstochen und die Leiche verschwinden lassen, sind die Geschworenen überzeugt. Hochschwanger geht sie ins Gefängnis, Tochter Kahlia kommt nach der Geburt zu Pflegeeltern. Vier Jahre später finden Wanderer Azarias Jäckchen - in der Nähe eines Dingo-Baus. Neue Untersuchungen werden eingeleitet. 1986 kommt die Mutter frei. Das Urteil gegen sie und Michael wird 1988 aufgehoben. Doch da in der Sterbeurkunde die Todesursache offengelassen wurde, kämpfen die Chamberlains weiter.

Der Fall bleibt mysteriös, viele Fragen sind unbeantwortet. 2004 meldet sich ein Mann, der an dem Abend einen Dingo mit totem Baby im Maul erschossen haben und die Leiche aus Angst vor Strafverfolgung entsorgt haben will. Er verstrickt sich aber bei Details in Unwahrheiten. Einer der Polizisten bleibt bis heute dabei: An Azarias Verschwinden waren Menschen beteiligt.