Rasenbesitzer verzweifeln. Warum Löwenzahn zu den größten Überlebenskünstlern im heimischen Garten zählt

Berlin. Sie waren selten und sind längst aus dem Verkehr gezogen: die 500-Mark-Scheine. Kaum jemand wird sich noch daran erinnern, dass der Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian mit diesem rosaroten Schein gedacht wurde, nicht nur mit ihrem Porträt, sondern auch mit einer Pflanze, die Gartenbesitzer zur Verzweiflung treiben kann. Die Blätter des Löwenzahns zierten die Rückseite des Geldscheins - und stören das ästhetische Empfinden von Rasenfans.

Sie sollen weg, das beruhigende Grün nicht stören. Doch sie sind überaus hartnäckig: regelmäßiges Rasenmähen hilft kaum, im Gegenteil scheint es das Wachstum der goldgelben Blumen sogar noch zu fördern. Das liegt vor allem an den bis zu zwei Meter langen Wurzeln. Säbelt der Rasenmäher Blütenkopf und Blätter ab, so regeneriert die Pflanze aus der Wurzel heraus. Und nicht nur Widerstandskraft, sondern auch den Einfluss der Umwelt auf den Phänotyp der Pflanzen können Rasenbesitzer am Korbblütler beobachten: Charles Darwin hatte in seiner Evolutionstheorie hervorgehoben, dass die Merkmale eines Individuums nicht nur durch ihr vererbtes Genom bestimmt wird, sondern auch von den Umwelteinflüssen.

Darwin nannte dieses Phänomen Modifikation. Um diesen Gedanken zu überprüfen, führte der französische Botaniker Gaston Bonnier Versuche mit Löwenzahn durch: Er grub Pflanzen in Tälern aus und pflanzte sie im Hochgebirge wieder ein. 80 von 200 Arten kamen mit der Witterung auf den Bergen nicht zurecht - die meisten von ihnen gingen ein. Diejenigen aber, die dem Höhenklima gewachsen waren, wuchsen nur kümmerlich. Sie blieben zwergwüchsig und zeigten eine Reihe von Abnormalitäten. Um sicherzugehen, dass es wirklich eine umweltbedingte Änderung des Phänotyps war, halbierte Bonnier junge Löwenzahnpflanzen und ließ die eine Hälfte im Tal, die andere Hälfte auf einem Gipfel wachsen. Beide Pflanzenhälften hatten das gleiche Erbgut - und trotzdem kam es auch hier bei den Bergpflanzen zum Zwergwuchs. Ein klarer Beweis für die Theorie der umweltbestimmten Modifikation.

Mittlerweile haben Genforscher herausgefunden, dass die Modifikation durch unterschiedliches Aktivieren und Ausschalten bestimmter Gene verursacht wird. Die Umwelt, beispielsweise das härtere Klima in den Bergen, verändert den Stoffwechsel der Pflanze, was zu einer anderen Aktivierung ihrer Gene führt, als es bei den Pflanzen in den geschützten Tälern passiert. Das kann man auch im Garten beobachten: Werden die Blüten häufig abgemäht, so wächst die Pflanze nicht mehr so stark in die Höhe, sondern blüht bereits wenige Zentimeter über dem Boden. Ihr Stiel bleibt kürzer. Eifriges Rasenmähen stört die Pflanze also relativ wenig - im Gegenteil: ein emsiger Gärtner, der den Rasen kurz hält, schafft ideale Wachstumsbedingungen für die Pflanze. Denn sie braucht viel Licht.

Auch ein zweites Lieblingsmittel des Rasengärtners hilft, ohne dass er es vermutlich möchte, seinem gelb blühenden Feind: Stickstoff, der in jedem gängigen Rasendünger, aber auch in Gülle und Mist enthalten ist, lässt Löwenzahn besonders gut gedeihen. Der Korbblütler gilt deshalb auch als Zeigerpflanze dafür, ob ein Boden viel Stickstoff enthält, beziehungsweise ob Äcker überdüngt wurden. Was den Löwenzahn für Biologen besonders interessant macht ist, dass es den einen Löwenzahn überhaupt nicht gibt - und dass sich die verschiedenen Löwenzahnarten als überaus trickreich in ihrer Vermehrung erweisen. Mittlerweile wissen Botaniker, dass es mehr als 240 Arten gibt. Alle haben eine Besonderheit in ihrem Erbgut gemein: Sie haben nicht nur, wie etwa der Mensch, einen doppelten Chromosomensatz in ihren Zellen (Forscher sprechen von Diploidie). Es gibt in jeder Löwenzahnart auch Individuen mit dreifachem (triploid) oder sogar vierfachen (tetraploid) Chromosomensatz. Diploide Pflanzen benötigen in der Regel die Pollen anderer Pflanzen, um sich fortzupflanzen. Triploide Pflanzen können sich auch ohne den genetischen Austausch mit fremden Pflanzen vermehren. Sie produzieren auch ohne vorherige Befruchtung Samen, aus denen dann neue Pflanzen, die mit ihrer Mutterpflanze genetisch identisch und somit Klone sind.

Auch die Pusteblume, also die verblühte Blühte, ist für die Ökologie der Pflanze wichtig. Wie fruchtbar und vermehrungsfreudig der Löwenzahn ist, zeigen einige Zahlen: Aus einer Blüte können mehr als 150 Samen entstehen, die an ihren Flugschirmen vom Wind weit getragen werden können. Landen die Samen auf einem Boden, etwa einer kargen Felsspalte, so können sie dort bis zu zehn Jahre überdauern - und bleiben dennoch keimfähig.

Natürlich ist das keine gute Nachricht für Löwenzahnfeinde. Doch vielleicht können sie ihre Aversion ein wenig abbauen, wenn sie bedenken, dass das dichte Wurzelwerk - dass zwar den schönen grünen Rasen stört - gut für den Boden ist: Sie halten das Wasser in den oberen Schichten, was schließlich auch für Gras wichtig ist. Wer den Pflanzen dennoch das Schicksal der 500-Mark-Banknote wünscht, kann sich mit manchen Verfechtern der biologischen Vielfalt zusammentun. Da der Löwenzahn zäh und robust ist, verdrängt er gerade auf schwierigeren, mageren Böden viele Wiesenblumen und Gräser. Seine Überlebenstaktiken sind zu erfolgreich.