Neues starkes Beben fordert mindestens 17 Opfer in Norditalien. Experte warnt: Das kann durchaus so weitergehen

Rom. Es war gegen 9 Uhr in der Früh, als ein lautes Grollen die Einwohner der Emilia-Romagna aufschreckte. Der Nachrichtensender Sky TG24 hatte gerade einen Bericht aus San Felice sul Panaro über eine Zeltstadt mit Überlebenden des Erdbebens vom 20. Mai gezeigt, da geriet der Boden erneut heftig in Bewegung.

Plötzlich waren auf dem Bildschirm Menschen zu sehen, die in Todesangst aus den wankenden blauen Zelten rannten. Panik und Chaos waren in die norditalienische Region zurückgekehrt. Das Epizentrum befand sich diesmal in Mirandola bei Modena - im nahe gelegenen Maranello hat die Sportwagenschmiede Ferrari ihr Hauptquartier.

Zunächst herrschte noch die Hoffnung, es sei alles glimpflich verlaufen. Doch dann erklärte San Felices Bürgermeister Alberto Silvestri: "Einige Menschen sind unter Trümmern begraben, Genaueres kann ich im Augenblick nicht sagen."

Spätestens als Bilder von eingestürzten Fabriken und Lagerhallen zu sehen waren, stand fest: Es sind wieder Menschen ums Leben gekommen. Und: Das Beben der Stärke 5,8, dem mittags ein weiteres der Stärke 5,6 folgte, war in seinen Auswirkungen sogar noch verheerender als das vom 20. Mai. Einige der Gebäude waren bereits an jenem Tag stark beschädigt worden, nun kollabierten viele vollständig. Unter den Toten sind auch mehrere Fabrikarbeiter - allein drei von ihnen aus San Felice. Während neue Nachbeben die Menschen immer wieder aufschreckten, ging die Nachricht um, in der Stadt Carpi sei beim Einsturz einer Kirche der Pfarrer ums Leben gekommen. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

In Cavezzo saß Bürgermeister Stefan Draghetti gerade in seinem Rathaus. "Anfangs dachten wir, es sei eines der vielen kleineren Beben, wie sie in den letzten Tagen immer wieder vorkamen. Doch dann wurde es immer stärker und der Putz fiel von den Wänden", schilderte der 43-Jährige. Die Feuerwehr sperrte den Ort ab. Stunden nach den Erdstößen herrschte gespenstische Stille in den Straßen. Menschen saßen auf Plastikstühlen oder einfach auf dem Boden und warteten auf etwas, von dem sie selbst nicht genau wussten, was es ist. "Gott sei Dank, wir leben", war auf ein Fenster gemalt.

Die schreckliche Bilanz dieses Dienstags, die die Regierung in Rom am Abend bekannt gab: mindestens 17 Tote, sieben Vermisste, 200 Verletzte. Die Häuser und Wohnungen von 8000 Menschen wurden ganz oder teilweise zerstört. Sie kommen zu jenen 6000 Bewohnern hinzu, die beim Beben vor zehn Tagen ihre Bleibe verloren hatten.

Ministerpräsident Mario Monti versprach am Abend den Betroffenen: "Der Staat wird alles daransetzen, die Schäden so bald wie möglich zu beheben." Zugleich unterstrich er die Bedeutung der Emilia-Romagna: "Sie ist für Italien so wichtig, so besonders und so produktiv." Die Einwohner rief Monti auf, dem Staat zu vertrauen. Viele Menschen sind auch wirtschaftlich schwer getroffen. Die Region in der fruchtbaren Po-Ebene beheimatet Tausende kleinere und mittlere Betriebe, die weltbekannte Exportgüter wie Parmesan-Käse, Parma-Schinken und Balsamico-Essig herstellen.

Nach dem Erdbeben vom 20. Mai, das sieben Menschen das Leben gekostet hatte, hatte die Regierung in der betroffenen Region bereits den Notstand ausgerufen. Zudem stellte sie 50 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereit. Monti sagte, es seien auch Steuerfreibeträge für die Reparatur von Häusern, Fabriken und Bauernhöfen denkbar.

Staatspräsident Giorgio Napolitano versuchte ebenfalls, den Menschen Mut zu machen: "Die Region Emilia-Romagna und ganz Italien werden diese schweren Momente überwinden." In Cavezzo sprach Bürgermeister Draghetti im Sinne seiner Amtskollegen vieler anderer Orte: "Jetzt geht es ums nackte Überleben. Wir brauchen Zeltlager und dann starke Unterstützung." Und er fügte hinzu, was sich alle Menschen der Region sehnlichst wünschen: "Erst einmal muss das hier aufhören!"

Allerdings geben Einschätzungen von Erdbebenexperten wenig Grund zur Hoffnung. "Wir können die Menschen nicht beruhigen", sagte der Geophysiker Rainer Kind vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) gestern. Wie lange wird es noch so heftige Beben geben? Worauf müssen sich die Menschen einstellen? Kind sagte: "Leider sind Erdbeben noch immer unvorhersagbar. Wir können nicht sagen: Die Aktivität geht weiter oder die Aktivität hört auf." Es habe ja schon vor etwa neun Tagen ein relativ starkes Beben gegeben, und normalerweise sei es dann so, dass die Aktivität zurückgehe. In einigen Fällen komme es aber zu sehr starken Nachbeben, wie es jetzt gerade aufgetreten sei. "Und das kann durchaus so weitergehen", warnte der Geophysiker.

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